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Forchheimer, Paul 

Geb. 25.7.1913 in Nürnberg, gest. 16.11.2004 in New York.
 

Der Antisemitismus brachte F. (bzw. seine Eltern) schon als Schüler dazu, das Abitur in der Schweiz abzulegen. Danach kehrte er zunächst noch nach Deutschland zurück und begann ein Studium der Chemie in Aachen, wechselte 1933 wieder in die Schweiz (Zürich), danach setzte er sein Studium zunächst bis 1934 in Mulhouse fort, emigrierte schließlich nach England, wo er sein Studium auf Pharmazie spezialisierte und in Verbindung damit auch in einem Krankenhaus tätig war. Dieses Studium hat er aber nicht mit einem Examen abgeschlossen. 1937 emigrierte er weiter in die USA, wo er offensichtlich unter dem Eindruck, als deutscher Immigrant keine fachlich angemessene berufliche Stellung zu finden, ein erneutes Studium der Neueren Philologie, insbesondere der Germanistik, mit einem Stipendium an der Johns Hopkins begann. 1939 schloß er dieses Studium an der City University von New York ab. Danach war er Lehrer an einer jüdischen Schule in New York und leistete seinen Kriegsdienst. Mit der amerikanischen Armee war er nach Kriegsende noch in Europa stationiert, was er 1945 nutzte, um in die wieder neu aktivierte französische Sprachwissenschaftsvereinigung von Paris aufgenommen zu werden.[1]

Vermutlich mit einem Stipendium für Kriegsveteranen nahm er nach dem Krieg ein Studium für Allgemeine Sprachwissenschaft in Princeton auf, jetzt mit einer sehr breiten sprachlichen Grundlage, u.a. der semitischen und der altaischen Sprachen, vor allem wohl bei Menges und Greenberg, die auch seine Dissertation betreuten, mit der er 1951 seinen Ph.D. an der Columbia University in New York machte. Danach war er Dozent für Sprachwissenschaft und Deutsch an einem College der Adelphi Universität in New York (zunächst als Assistent, 1963-1976 als Associate Professor und auch noch nach seiner Emeritierung 1976 dort tätig).

Die Dissertation »The Category of Person in Language«[2] ist offensichtlich die einzige größere monographische sprachwissenschaftliche Arbeit, die er publiziert hat.[3] Sie ist, in der bewußten Nachfolge der Arbeiten von Wilhelm Schmidt, die er dort auswertet, eine typologische Studie als Sekundäranalyse eines beeindruckenden Korpus aus Sprachen der Welt, wobei er auch tote Sprachen wie Akkadisch, Sumerisch u.a. einbezieht. Er untersucht dort die grammatischen Felder der Personenbezeichnungen in Hinblick darauf, wieweit sie morphologische Strukturen eines Paradigmas zeigen (etwa mit den Numerus-Differenzierungen des substantivischen Systems – gegenüber lexikalischen Differenzierungen, die die Grammatiken meist als »Suppletiv-Systeme« behandeln). Zwar ohne die Argumentationsformen der neueren Grammatikalisierungsdiskussion nimmt er doch deren Grundargumentation hier schon vorweg: Mechanismen einer systeminternen paradigmatischen Integration dieser Formen auf der einen Seite, für die er auch schon so etwas wie eine universale Grammatikalisierungsskala skizziert (u.a. mit deiktischen Skalierungen, wie insbesondere der wachsenden Distanz auf einer Skala von der 1. zur 2. zur 3. Person u. dgl.), auf der anderen Seite die Störungen dieser systeminternen Dynamik durch den Sprachkontakt mit der Folge von vielfältigen Lehnbildungen und Entlehnungen (er trennt sehr deutlich areale gegenüber genetischen Faktoren). In der neueren typologischen Diskussion ist diese Arbeit insofern auch ein Standardliteraturhinweis, während sie zeitgenössisch heftig verrissen wurde, stand sie doch quer zu dem damals vor allem in den USA dominanten strukturalistischen Paradigma, für das deskriptives Arbeiten gewissermaßen axiomatisch nur innerhalb des Horizontes eines Sprachsystems möglich war.[4] Das hat F. dann wohl auch daran gehindert, eine sprachwissenschaftliche Karriere in den USA zu machen – und war wohl auch der Grund dafür, daß die Arbeit nicht in den USA, sondern (in englischer Sprache!) in Berlin bei de Gruyter publiziert wurde.[5]

Mit dieser Arbeit war er offensichtlich als »Europäer« für die amerikanische Wissenschaftsszene stigmatisiert. Das machen auch seine (ohnehin nur wenigen) weiteren Publikationen deutlich: in Emigranten-Zeitschriften wie Word oder Malkiels Romance Philology (s.u.) sowie in der Festschrift für den (selbst auch eher marginalen) New Yorker Indogermanisten J. A. Kerns, zu der er einen Beitrag über »Primitive Language(s)« beisteuerte.[6] Er argumentierte dort in der besten Tradition des US-amerikanischen Strukturalismus, indem er zwischen der Praxis eines Sprechers, der intellektuell nicht sonderlich gefordert ist, und den Potentialen der von ihm dabei genutzten Sprache auf der einen Seite unterscheidet, und auf der anderen Seite sich einem direkten Rückschluß von Sprachstrukturen auf die kognitiven Potentiale bei Sprachgemeinschaften verweigert – allerdings tut er das nicht, wie es nahegelegen hätte, mit Verweis auf die autoritativen Vertreter dieser Tradition (vor allem Boas), sondern verweist nur recht eklektisch auf Vertreter der älteren europäischen Sprachwissenschaft.

Seine isolierte Stellung als marginaler Emigrant spiegelt sich auch in den verstreuten Glossen, die er später veröffentlichte, vor allem in kleineren wortgeschichtlichen Beiträgen zu Volksetymologien, die es ihm erlauben, sein umfassendes Wissen über die kulturellen Zusammenhänge von Judentum, arabisch-islamischer Kultur und christlichem Europa vorzuführen, vor allem auch bei Gegenständen, bei denen er sein pharmazeutisch-chemisches Wissen einbringen kann, wie z.B. »The etymology of saltpeter«[7] (als volksetymologische Umdeutung von sal nitrum), »French glaire«[8] (mit einer Herleitung analog zu dt. [Ei-]Klar); dazu auch schon »klar wie Klössbrüh«[9] (← *Klösterbrühe). Dabei legt er sich auch schon einmal mit Spitzer an, dessen psychologisierende Deutung des Steinochs bei Morgenstern[10] er mit einem (trivialeren) Hinweis auf Scherze mit einem Nürnberger steinernen Ochsen kontert.[11] S. auch seine Diskussion einer strittigen Deutung eines hebräischen Terminus, der er eine indoeuropäische Parallele aus dem Wortfeld »Knochen, Skelett« gegenüberstellt: »The semantic development of Hebrew gerem«.[12] Ansonsten publizierte er noch außerhalb solcher fachlicher Bezüge für ein gläubiges jüdisches Publikum, z.B. Auszüge aus dem Kommentar des Maimonides zur Mischnah (also dem Rechtskanon des Judentums): »Living judaism«.[13]

Q: DAS; Frans Plank, »Ahead of even Greenberg, for once: Paul (›Person‹) Forchheimer«, in: Linguistic Typology 6/2002: 30-47. Plank hat für diese Studie auch biographische Materialien, u.a. auch eine längere autobiographische Darstellung von P. F., ausgewertet. Darauf stützen sich diese Ausführungen. Zum Todesdatum s. http://www.ancientfaces.com/research/person/20085499/paul-forchheomer.

 



[1] Vermutlich vermittelt über französische Exil-Sprachwissenschaftler, die in New York die Ecole Libre gegründet hatten.

[2] Berlin: de Gruyter 1953.

[3]Eine detaillierte Würdigung der Bedeutung der Arbeit für die neuere Sprachtypologie findet sich bei Plank 2002 (Q).

[4] Den einhelligen Tenor der durchaus in großer Anzahl und von prominenter Seite publizierten Verrisse dieser Arbeit dokumentiert Plank (Q).

[5] Vermittelt wohl über Bonfante, der auch ein lobendes Vorwort beisteuerte.

[6] In: R. C. Lugton/M. G. Saltzer (Hgg.), »Studies in Honor of J. A. Kerns«, Den Haag: Mouton 1970: 29-34.

[7] In: Mod. Lg. N. 67/1952: 102-106.

[8] In: Rom. Ph. 18/1964: 33-34.

[9] In: Mod. Lg. N. 64/1949: 493.

[10] S. Spitzer/H. Sperber, »Motiv und Wort«, 1918: 70.

[11] Eindeutiges Indiz für seine eigenen biographischen Erinnerungen – weniger überzeugend im Text, da er nichts dazu sagt, ob Morgenstern derartige lokale Zusammenhänge in Nürnberg überhaupt kannte. Dazu jetzt mit umfassenden lokalhistorischen Quellenstudien Werner Taegert, ‚Der Steinochs‘: Das Nürnberger Wahrzeichentier und seine denkbare Verwandlung in Christian Morgensterns ‚Galgenliedern‘, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 107 / 2020: 355-418, bes. Fn. 144 und 145 (S. 409).

[12] In: Word 4/1948: 209-211.

[13] New York: Feldheim 1974.