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Klaus, Georg

geb. 28.12.1912 Nürnberg, gest. 29.7.1974 Berlin (DDR)

  

Philosoph. Mit einer relativ prominenten Rolle in der Partei konnte K. (in gewisser Weise parallel zu Steinitz) den Aufbau einer formal unterbauten Sprachwissenschaft in der DDR ermöglichen, was seine Berücksichtigung in diesem Katalog begründet. Seine Familienherkunft aus einem Arbeiterhaushalt bestimmte schon früh seine Nähe zur KPD, deren formaler Ausdruck seine Mitgliedschaft in dem von dieser in Nürnberg organisierten Arbeiterschachklub war – Schach blieb lebenslang eines seiner Tätigkeitsfelder, in dem er auch international erfolgreich war. Nach dem Abitur 1932 begann er ein Studium der Mathematik, wurde 1933 wegen seiner KPD-Aktivitäten verhaftet und wegen „Hochverrat“ zu 2 Jahren Haft verurteilt, nach der ins KZ Dachau kam. Nach der Entlassung1939 hatte er Studierverbot und mußte in einer Bleistiftfabrik arbeiten. Obwohl er als „wehrunwürdig“ eingestuft wurde, wurde er 1942 zum Wehrdienst an der Ostfront eingezogen, wo er 1943 schwer verwundet wurde (die körperlichen Folgen belasteten ihn lebenslang). Nach der Entlassung aus dem Lazarett kam er noch an die Westfront und dann in die amerikanische Gefangenschaft. 1945 ging er nach Thüringen, wo er Leitungsfunktionen in der dortigen KPD übernahm. 1947 nahm er das Studium in Jena wieder auf, wo er 1948 promoviere und auch habilitierte.[1] 1950 wurde er dort zum Professor für Dialektischen und Historischen Materialismus ernannt, zugleich mit einer Professur für Logik und Erkenntnistheorie an der HU Berlin. 1959 wechselte er an die Berliner Akademie der Wissenschaften der DDR, wo er mit Klaus Buhr das Zentralinstitut für Philosophie ausbaute und leitete.[2]

K.s Arbeitsschwerpunkt lag bei der formalen Modellierung erkenntnistheoretischer Sachverhalte, die er gewissermaßen für den Sozialismus retten wollte: wobei sie in seiner Sicht nur dort ohne ideologische Verzerrungen zur Geltung kommen konnten. Diese Position vertrat er in den wechselnden Konjunkturen der entsprechenden Positionen der SED.[3] Dabei war deren Ausrichtung an den Entwicklungen in der KPdSU die Grundlinie. Er war entscheidend daran beteiligt, die dogmatischen Blockierungen des "Formalismus"-Vorwurfs aufzulösen, wozu Stalins Sprachwissenschaftsbriefe (1950) den Ausgangspunkt lieferten (s. bei W. Steinitz): K. nahm an den entsprechenden großen Konferenzen der Partei 1951 aktiv teil. Politisches Oberwasser bekam K.s Position nach dem Sputnik-Erfolg,[4] der formale Modellierungen, damals mit Kybernetik etikettiert, auch als Mittel der sozialistischen Politik in den Vordergrund rückte. K. publizierte eine Reihe vor allem auch als Lehrbücher avisierten einschlägigen Werke, vor allem auch zu den formalen Grundlagen von der (formalen) Logik bis zur (mathematischen) Spieltheorie.[5] Einen kanonischen Status erhielt seine Position vor allem mit dem großen Wörterbuch (1964 – 1987, s. Anm. 2), das in der DDR einen offiziösen Stellenwert hatte und in Lizenzausgaben auch im Westen vertrieben wurde. K. steuerte dazu die meisten Stichwortartikel bei, die sprachlich-semiotische Gegenstände behandeln (s. die Aufschlüsselung des Werks im Verzeichnis der „Begriffsworte“ in Bd. I, 1969 ff.).

In sprachtheoretischer Hinsicht orientierte sich K. vor allem an den Arbeiten von Charles Morris (1901 – 1979), die er auch terminologisch adaptiert. Das gilt besonders für die Pragmatik, die er als grundlegende Dimension für eine Sprachreflexion bestimmt, die im Feld der politischen Analyse produktiv werden kann (und seiner Auffassung nach: auch muß). Systematisch dargestellt hat er das in „Die Macht des Wortes. Ein erkenntnistheoretisch-pragmatisches Traktat“.[6] Die Subsumption unter die Politik (und dabei den Führungsanspruch der Partei) ist dabei die grundlegende Prämisse, durch die alles ausgeklammert wird, was in der „bürgerlichen Pragmatik“ (also dem, was seit Ende der 1960er Jahre gerade auch in der BRD als „Linguistische Pragmatik“ angegangen wurde und wird: die Strukturen „hinter dem Rücken der Subjekte“ (Marx), mit denen sich Alltagshandeln einspielt.

Am drastischsten kommt seine Position in seinem „Sprache der Politik“ (1971) zum Ausdruck,[7] das K. auch ausdrücklich als Lehrbuch für die propagandistische Arbeit von Parteiaktivisten präsentierte. In der plakativen Gegenüberstellung von Manipulation in der „imperialistischen Agitation“ und aufklärender Agitation (bei K. ein wertfreies formales Konzept ebenso wie Propaganda) kann man nur eine Vorlage für Aktivisten sehen – kaum ein analytisches Unternehmen. Der unmittelbare Kontext dafür war die umgeschlagene politische Konjunktur seit 1969, als sich in der SED die Vorbehalte gegen formale Analysen, die den Handlungsspielraum der Parteioberen beschränken konnten, wieder durchsetzten. Es fällt schwer, bei diesem Text opportunistisches Vorgehen von analytischer Blindheit zu trennen (s. Bierwisch, Q): die Art und Weise, wie mit ausführlichen Belegen die Manipulation mit „aggregierten Symbolen“ im Westen am Beispiel der Berliner Mauer[8] als Neuauflage Goebbelsscher Topoi in dessen Sportpalastrede, deren aufklärender Funktion in DDR-Argumentation gegenübergestellt wird, ist schlicht grenzwertig. Darin drücken sich die Widersprüche einer Biographie aus, die sich einerseits als die eines Parteisoldaten entworfen hat, anderseits aber dem analytischen Geschäft der Wissenschaft verschrieben hat.

Q: M. Eckardt (Hg.), Die Semiotik von G.K. = Zeitschrift für Semiotik 33, H. 3-4 / 2011; dort auch ein ausführliches Schriftenverzeichnis; S. 355 - 377, und der hier vor allem genutzte Beitrag von  M. Bierwisch, Mathematik, Schach, Kommunismus – Konflikte des Philosophen G. K., S. 221-235; außerdem Wikipedia, s.vo (zuletzt abgerufen 8.7.2016). 


[1] Doktorvater war Max Bense (1910 – 1990), dem selbst aus politischen Gründen in der NS-Zeit eine Habilitation verweigert worden war, der dort seit 1945 als a.o.Prof. für Philosophie tätig war. 1948 ging er in den Westen an die TH Stuttgart, wo er nach öffentlichen Auseinandersetzungen zu seinen politischen Stellungnahmen auch erst 1963 o. Professor werden konnte.

[2] Buhr (1927 – 2008) war dabei der orthodoxe Gegenpart zu K., was sich in den gemeinsamen Arbeiten dokumentierte, so insbesondere in dem von ihnen hgg. und zum großen Teil auch redigierten „Philosophische[n] Wörterbuch“, Leipzig: Enzyklopädie (Bibliographisches Institut) 1. A. 1964, erweitert als zweibändige Ausgabe 1969, zuletzt in der 14. A. 1987. Dazu s.u.

[3] Die folgende Argumentation stützt sich vor allem auf Bierwisch (Q).

[4] 1957 gelang es in der Sowjetunion den ersten Satelliten in den Weltraum zu schießen (russ. Sputnik [ˈsput.nik] „Begleiter“, in der russ. Astronomie üblicher Terminus für einen Trabanten) – was im Westen den „Sputnik-Schock“ auslöste.

[5] Darunter vor allem seine "Einführung in die formale Logik", Berlin: Deutscher Verlag der Wissenschaften 1958 (überarbeitete Neuauflage unter dem Titel "Moderne Logik" 1964). Durchgägnig ist dort sein Bemühen deutlich, die dogmatischen Blockierungen zu durchbrechen und mit seiner politischen Autoriät die inhaltliche Auseinandersetzung mit Ansätzen in Gang zu bringen, die sonst tabuisiert waren: im Einleitungsabschnitt  zu seiner "Logik" verweist er so z.B. auch auf Husserl (vgl. 7. Auflage, 1964, S.4). In der professionellen Diskussion war den Wert dieser Werke durchaus fraglich; aber sie dienten durchgängig als legitimierende Referenz, s. z.B. die durchgehenden Hinweise auf K.s „Logik“-Buch in dem ansonsten strikt formal angelegten Sammelwerk K.Berka / L.Kreiser (Hgg.), Logik-Texte. Kommentierte Auswahl zur Geschichte der modernen Logik. Berlin: Akademie 1971.

[6] Berlin (DDR): Deutscher Verlag der Wissenschaften 1964, 5. A. 1969.

[7] Berlin (DDR): Deutscher Verlag der Wissenschaften 1971.

[8] Extensiv mit Belegen aus der BILD-Zeitung …