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Lüders, Heinrich

Geb. 26.6.1869 in Lübeck, gest. 7.5.1943 in Badenweiler.

 

L. war Indologe mit ausgesprochen sprachwissenschaftlichen Interessen. Nach dem Abitur 1888 in Lübeck studierte er zunächst Germanistik in München, dann in Göttingen mit Schwerpunkt Indologie. 1894 dort Promotion mit einer Dissertation über einen vedischen Text (die Vyāsa-Śikṣā), der phonetische Probleme des Sanskrit behandelt. Nach der Promotion ging er nach England und arbeitete als Bibliothekar in Oxford. Dort beschäftigte er sich mit indischen Manuskripten und behielt auch später seine Bindung an England bei (u.a. übersetzte er englische Schriften von Max Müller).

1903 wurde er Professor in Rostock, 1908 wechselte er nach Kiel, 1909 nach Berlin (als Professor für Altindische Sprache und Literatur), wo er noch im selben Jahr in die Akademie der Wissenschaft aufgenommen wurde, für die er von 1930 bis 1938 als Sekretär der philosophisch-historischen Klasse fungierte. Als solcher hatte er die Organisation der vielfältigen Unternehmungen der Akademie zu koordinieren, über die er auch in den Schriften der Akademie regelmäßig berichtete. Nach 1933 führte das zu z.T. heftigen Konflikten mit der Partei, bei denen er es zunächst vermochte, die Akademie von politischen Einflüssen frei zu halten.[1]

Seinen indologischen Forschungsbereich weitete er systematisch aus. Nach der Promotion war sein nächster Arbeitsschwerpunkt das Mahābhārata, über eine von dessen Rezensionen (Grantha) er 1898 in Göttingen habilitierte.[2] Für die geplante Edition legte er 1908 einen Probedruck vor. Später arbeitete er vor allem zum Prākrit, bei dem er auch nicht-literarische Quellen bearbeitete (Inschriften auf Münzen, Gefäßen, die Felsinschriften von Aśoka [3. Jhdt v. d. Z.] u. dgl.). Dabei bringt er systematische paläographische Entwicklungen mit sprachlichen Formen, insbes. in der dialektalen Vielfalt, zusammen, weshalb für ihn auch die Sanskrit-Überlieferung nur auf einer solchen Folie genauer zu bestimmen ist. Dazu hat er eine Reihe von Einzelstudien vorgelegt,[3] darunter »Zur Geschichte des l im Altindischen« (zur Entwicklung und Interpretation <l> [l/ḷ]).[4]

Daneben stehen aber weiterhin bei ihm Arbeiten zum klassischen Sanskrit, etwa zu schwierigen Passagen der Upaniṣaden (»Zu den Upaniṣads«,1922), wo er sowohl sprachanalytisch wie religionswissenschaftlich argumentiert.[5] Schließlich führte er diese Arbeiten bis zu den neuindischen Varietäten fort. So beteiligte er sich auch an dem Doegenschen Unternehmen eines Lautmuseums, zu dem er einen Beitrag über die Gurkhas beisteuerte.[6] 1927-1928 unternahm er eine große Indienreise und baute vor allem auch Beziehungen zu indischen Wissenschaftlern auf – was er grundsätzlich auch als Erfordernis der indologischen Ausbildung propagierte (s. Schubring, Q). Ohnehin blieb die einheimische Grammatographie seit der Dissertation eines seiner Arbeitsgebiete. In die (altindische) Epigraphie hatte er sich schon bei seinen frühen Englandaufenthalten anhand der Fundstücke in dortigen Museen eingearbeitet.[7] Schwerpunkt seiner Arbeiten wurde aber zunehmend die indische Literaturgeschichte, vor allem das buddhistische Drama.

Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt ergab sich durch die Ergebnisse der Turfan-Expedition, die von der Akademie veranstaltet worden war, deren Sanskrit-Funde er bearbeitete,[8] und in denen er eine spezifische Form des Sanskrit analysierte (vor allem auch in der grammatischen Bearbeitung, die sich unter den überlieferten Texten fand). Bei diesen Arbeiten unterstützte ihn seine Frau Else,[9] die er als Studentin in das Studium des Sanskrit eingeführt hatte.[10] Gewissermaßen als Summe seiner verschiedenen Arbeitsstränge unternahm er eine Rekonstruktion der buddhistischen Überlieferung (eines »Urkanon« mit einer geplanten Edition). Die kanonischen Texte aus mittelindischer Zeit haben dialektologisch ein westliches Gepräge (Pāli), neben Übersetzungen in die archaische klassische Sprache (Sanskrit). Aufgrund seiner epigraphischen Studien (vor allem zu den mittelindischen Aśoka-Inschriften) und der Turfan-Texte rekonstruierte L. für den Ur-Kanon eine östlich geprägte Sprachform, s. die erst postum erschienenen »Beobachtungen über die Sprache des buddhistischen Urkanons«.[11] Aus Hinweisen und kleineren Studien wird deutlich, daß sein Arbeitsfeld aber noch sehr viel weiter spannte: im Indo-Arischen mit Einschluß iranischer Sprachen (auch des Persischen) sowie auch des Tibeto-Burmanischen.

1935 eskalierte sein Konflikt mit Parteiinstanzen, und L. wurde zwangsemeritiert und mit einem Lehrverbot belegt. Seine Forschungstätigkeit konnte er allerdings weiterführen, und 1940 wurde auch sein 70. Geburtstag offiziell gefeiert (mit einer Ausgabe seiner kleinen Schriften). Eine Reihe größerer Arbeiten, vor allem aus seinen epigraphischen Forschungen, ist inzwischen postum publiziert worden.

Q: Stache-Rosen 1990; NDB; DBE 2005; Ellinger 2006; Nachrufe: R. N. Dandekar, in: Annals of the Bhandarkar Oriental Research Institute 24/1943: 282-283; W. Schubring, in: Z. Dt. Morgenländ. Ges. 97/1943: 157-165; M. Gosh, in: Indian Historical Quarterly 20/1944: 209-210; Homepage des Instituts für die Sprachen und Kulturen Südasiens der FU Berlin (http://www.geschkult.fuberlin.de/e/indologie/fachbeschreibung/geschichte/bis1945_4luedersh/index.html, Febr. 2009). Bibliographie bei der Bibliothek der AdW (http://bibliothek.bbaw.de/kataloge/literaturnachweise/lueders/literatur.pdf, abgerufen Juli 2013).



[1] Zu einem solchen Konflikt s. hier bei Menges, dem ich auch sehr persönliche Berichte über L.s Verhalten verdanke.

[2] Das Mahābhārata ist das große indische Nationalepos (über 100.000 Langverse), das neben dem narrativen Epos (über die Dynastie der Bhārata) moralische und mythologische Abschnitte enthält, die den Kanon der Hindu-Religion repräsentieren. Die Überlieferung ist entsprechend komplex (seine maßgebliche Form hat es um 400 u. Zt. gefunden). Eine kritische Ausgabe war am Ende des 19. Jahrhunderts ein international avisiertes Projekt der Indologen, für das L. Vorarbeiten leistete. Diese Edition ist erst später von einem Schüler L.s, V. S. Sukthankar, in Indien zustandegekommen (»The Mahābhārata«, 11 Bde., Poona: Bhandakar Oriental Institute 1927-1961).

[3] Diese Arbeiten sind leicht zugänglich in der ihm 1939 gewidmeten FS »Philologica Indica. Ausgewählte kleine Schriften von H. L. Festgabe zum 70. Geburtstag am 25.6.1939, dargebracht von Kollegen, Freunden und Schülern«, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1940. Die im Text genannten Untersuchungen dort S. 509-526.

[4] In: »Philologica Indica«: 546-561.

[5] Ebd.

[6] Ein Foto dort S. 81 zeigt ihn bei Sprachaufnahmen mit Kriegsgefangenen, bei denen er eine Zigarre raucht – vermutlich um den Mief der Behausung zu überdecken. Über diese Arbeiten berichtete er auch in den SB der AdW 1919 »Sprachliche Untersuchungen in Gefangenenlagern«, in: SB Preuss. AdW zu Berlin 1919: 77-78 (dort auch zu Jacobsohn und E. Lewy).

[7] Kleinere ältere Arbeiten davon, z.T. ausführlich sprachgeschichtlich kommentiert, sind wieder abgedruckt in O. von Hinüber (Hg.), »H. L. Kleine Schriften«, Wiesbaden: Steiner 1973.

[8] Grundlage dafür war seine seit der gemeinsamen Göttinger Studienzeit enge Beziehung zu E. Sieg, der maßgeblich an der sprachwissenschaftlichen Auswertung dieser Expedition (bei der Erschließung des Tocharischen) beteiligt war.

[9] Else L. (geb. Peipers) geb. 1880 in Göttingen, gest. 13. 3.1945 in Berlin. Nach ihrer Heirat 1900 mit Heinrich L. studierte sie bei diesem Sanskrit und assistierte ihm später bei seinen Forschungsarbeiten, vor allem bei der Ausgabe des Mahabharata. Seit 1909 arbeitete sie dann zunehmend auch selbständig zu Sanskrit-Texten. 1919 erhielt sie daraufhin den Ehrendoktortitel an der Universität Rostock. 1922 gab sie eine Sammlung buddhistischer Märchen heraus. Nach dem Tod ihres Mannes bearbeitete sie dessen nachgelassene Werke, vor allem auch dann als Angestellte der Berliner Akademie die von diesem begonnenen Arbeiten an den Turfan-Handschriften. 1930 hatte sie auch einen Bericht über eine Reise mit ihrem Mann nach Indien und Ceylon herausgegeben („»Unter Indischer Sonne«).

[10] E. L. hat an diesen Dingen auch nach seinem Tod weiter gearbeitet (als Angestellte der Akademie insbesondere zu den Turfan-Materialien).

[11] E. Waldschmidt (Hg.), Berlin: Akademie-Verlag 1954.