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Schwarz, Werner

Geb. 22.2.1905 in Dobre Miasto, Polen (früher Guttstadt, Ost­preußen), gest. 5.7.1982 in London.

 

Nach dem Abitur 1923 in Königsberg dort 1923-1930 Studium der klass. Philologie und des Hebräischen, u.a. bei Maas; zu seinen engen Studienfreunden gehörte Grumach. 1931 Staatsexa­men, danach Unter­richtstätigkeit an verschiedenen Gymnasien (1933 Studi­enassessor). 1933 aus rassistischen Gründen entlassen und Emigra­tion nach Palästina, wo er in einem Kibbutz arbeitete. Dadurch war der Abschluß der geplanten Promotion (mit ei­ner Dissertation über Plotin) nicht möglich. 1936 Weitermigration nach England und Aufnahme des Studiums der Germanistik in London abgeschlossen 1939 (M.A.) mit einer Arbeit über Steinhöwels Übersetzungen, mit der er sein künftiges Forschungsgebiet definierte.[1] 1940 interniert, dann Kriegsdienst (verwundet). 1947 Ph.D. an der germanistischen Abteilung der Univ. London, danach Lehrtätigkeit dort, 1955-1962 o. Prof. für germanische Philologie und allg. Sprach- u. Literatur­wissenschaft an der Univ. in Am­sterdam, danach bis zur Emeritie­rung wieder in London an der germanistischen Abteilung.

Neben sei­nen mediävistisch-germanistischen Forschungen (zu alt- bzw. mittelhdt. Texten) hat S. auch die zunächst begonnenen Studien der klassischen Philologie fortgesetzt und über spätantike Autoren publiziert. Von hierher motivierte sich wohl auch sein Hauptarbeitsgebiet, die Übersetzungstheorie, die er in philologischen Studien zur mittelalterlichen Überlieferung, zu­meist in Verbindung mit Textstudien, entwickelt hat. Ein Schwer­punkt ist dabei die biblische Tradierung/Übersetzung, die er von der Patristik bis zu Luther verfolgt (s. »Principles and Problems of Biblical Translation. Some Reformation Controversies and their Background«),[2] wobei er die intui­tive Textaneignung (von Augustin bis Luther) der philologischen Methode (von Hieronymus bis Erasmus) gegenüberstellt, diese gegen­sätzlichen Verfahrensweisen kursorisch an der jeweiligen Praxis herausarbeitet und mit Äußerungen der Autoren über die Überset­zungspraxis korreliert. Daran schließen sich eine Reihe kleiner Studien zu den (vor allem italienischen) Humanisten und ihren Sprachauffassungen an. In deutscher Übersetzung erschien 1986 ein Sammelband mit seinen kleinen Schriften: »Schriften zur Bibelübersetzung und mittelalterlichen Übersetzungstheorie«,[3] vor allem auch zur metasprachlichen Reflexion in den frühen Übersetzungen (bei, vor und nach Luther).

Zur mittelalterlichen deutschen Literatur hat er eine Reihe ideengeschichtlich orientierter Studien vorgelegt (s. etwa seine Amsterdamer Antrittsvorlesung »Gottfrieds von Straßburg Tristan und Isolde«,[4] in der er die parodistische Spannung zur höfischen Normen­welt herausstellt). Auch hier setzt S. meist an der sprachlichen Form an (etwa zu formularischen Ausdrücken in der mittelhdt. Dichtung), aber sein Interesse ist vor allem historisch bestimmt, wobei die Gegenstände seine eigene Biographie als Ausgeschlossenen und Migranten spiegeln, wie sein Kollege aus den niederländischen Jahren Jan Aler im Vorwort zu einem früheren Band mit seinen Schriften herausstellt.[5]

Vor dem Hintergrund seiner übersetzungstheore­tischen Interessen (und seiner Biographie!) ist seine Mitarbeit an der Ausgabe von P. Ganz u.a. des »Dukus Horant«,[6] einer Cambridger Handschrift in hebräischer Schrift aus dem Ende des 14. Jhdts., zu sehen, die er aber, da auf der sprachlichen Seite für ihn keine Gründe dagegen sprechen, als mittelhochdeutsch bestimmt[7] – im diametralen Gegensatz zu Positionen, wie sie etwa M. Weinreich ver­trat. Sein spezifisches Interesse an dieser Handschrift motiviert er nicht jüdisch, sondern überlieferungstheoretisch: sie ist für ihn eines der wenigen Dokumente einer mündlichen Über­lieferung in Deutschland, die außerhalb der lateinischen Schrifttradition fixiert wurden, wobei er gegen Neumann (s. bei diesem) nachzuweisen suchte, daß der Text keine Abschrift war, sondern eine mündliche Vorlage hatte (z.B. durch die Nutzung hebräischer graphischer Differenzierungen, die die lateinische Schrift nicht hatte, z.B. /s/ ≠ /z/ usw.). In der Auseinandersetzung um diesen Text hat er dann auch entschieden für eine formal-strukturale (immanente) Vorgehensweise plädiert, s. »Prinzipielle Erwägungen zur Untersuchung der Cam­bridger Hs. T-S 10.K.22«.[8] In einem größeren kulturgeschichtlichen Rahmen bestimmte er den Text als Dokument der »Volksliteratur«, die im Gegensatz zur Bildungsliteratur des Judentums osmotisch ist: ohne spezifische Abgrenzung und durchlässig für christliche Motive und Bilder, s. »Die weltliche Volksliteratur der Juden«,[9] wo er den Text in die Tradition mündlicher Sängerüberlieferung einordnet.

S. litt an einer Herzkrankheit, die ihn hinderte, sein wissenschaftliches Werk in der von ihm gewünschten Form abzuschließen.

Q: BHE; autobiogr. Aufzeichnungen im Archiv d. IfZ, München. Nachrufe: L. Forster in H. Reinitzer (FN 3): 1-2; P. Ganz, in: German Life & Letters 35/1982/1983: 182.



[1] Die M.A.-Arbeit bildete die Grundlage für seinen Aufsatz »Das Übersetzen ins Deutsche im 15. Jhd.«, in: Mod. Lg. Rev. 39/1944: 368-373.

[2] Cambridge: UP 1955.

[3] Hg. von H. Reinitzer, Hamburg: Wittig 1986.

[4] Groningen: Wolters 1955.

[5] P. Ganz/T. McFarland (Hgg.), »Beiträge zur mittelalterlichen Literatur«, Amsterdam: Rodopi 1984, dort: S. 3-4.

[6] Tübingen: Niemeyer 1964.

[7] S z.B. auch von H. Penzl in seinem Mittelhochdeutsch-Lehrbuch aufgenommen.

[8] In: Z .f. Mundartf. 33/1966: 138-144.

[9] In: P. Wilpert (Hg.), »Judentum im Mittelalter«, Berlin: de Gruyter 1966: 72-91.