Ulrich Plass: REALISMUS FÜR DAS 21. JAHRHUNDERT (II): Serielle Gewalt in Roberto Bolaños Roman 2666

„Die Tote erschien auf einer kleinen Brache in der Siedlung Las Flores. Sie trug ein weißes, langärmeliges Hemd und einen gelben, knielangen Rock höherer Konfektionsgröße.“[1]

So beginnt der „Teil von den Verbrechen“ in Roberto Bolaños Roman 2666. Hinter diesen zwei sachlich klingenden Sätzen verbirgt sich eine ambitionierte realistische Poetik. Durch den unbeirrbaren Blick auf eine Serie von horrenden Gewaltverbrechen soll die komplexe Struktur einer transnationalen, spätkapitalistischen Wirklichkeit ans Licht gebracht werden, die sich einer rein gegenständlichen Anschauung entzieht und bestenfalls in Metaphern von Kreisläufen, Transaktionen und Kapitalflüssen (136) vorstellbar ist. Die realistische Leistung des „Teils von den Verbrechen“ besteht nun darin, dass eine Schicht dieser sozio-ökonomischen Wirklichkeit, die in beinahe sofortige Vergessenheit zu fallen droht (688), den Leser_innen immer wieder aufs Neue interessant gemacht wird – und zwar allein durch ihre minimal variierte Wiederholung.
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