Tobias Wilke: KI, DIE BOMBE. Zu Gegenwart und Geschichte einer Analogie

»A.I. or Nuclear Weapons: Can You Tell These Quotes Apart?« – so fragte die New York Times ihre Leser:innen am 10. Juni dieses Jahres. In Form eines metadiskursiven Ratespiels rückte die Zeitung damit eine Analogie in den Blick, die in den jüngsten Debatten um Künstliche Intelligenz zu erheblicher Prominenz gelangt ist. Wenn derzeit die Risiken neuester (Sprach-)Technologien beschworen werden, lässt der Vergleich mit dem Vernichtungspotenzial von Atomwaffen nicht lange auf sich warten. Dies gilt für die in Print- und Onlinemedien ausgetragene Diskussion, ist aber auch innerhalb der wissenschaftlichen Community mit ihren Spezialöffentlichkeiten zu beobachten.[1] Warnungen vor den unabsehbaren Folgen der KI-Entwicklung gleichen in ihrer Drastik und teils bis aufs Wort den Mahnrufen und Appellen, mit denen in der Nachkriegszeit auf die damals neue Gefahr eines drohenden globalen Nuklearkonflikts reagiert wurde. „Tobias Wilke: KI, DIE BOMBE. Zu Gegenwart und Geschichte einer Analogie“ weiterlesen

Lukas Schemper: SCHIFFBRUCH DER ZIVILISATION. Überlegungen zu einer Metapher

Anfang Dezember 2021 besuchte Papst Franziskus auf seiner Griechenlandreise auch die Insel Lesbos und das dortige Flüchtlingslager Kara Tepe, wo zu der Zeit etwa 2.500 Menschen lebten.[1] Kara Tepe ist das Nachfolgelager des 2020 abgebrannten Lagers Moria, wo der Papst schon 2016 war und dessen Überfüllung und hygienische Zustände das Versagen der europäischen Flüchtlingspolitik drastisch vor Augen geführt hatten. Auch wenn sich die humanitären Zustände im Vergleich zu damals gebessert haben und bedeutend weniger Menschen in Kara Tepe untergebracht sind als im Vorgängerlager, so hat sich doch zwischen den beiden Papst-Besuchen in der europäischen Migrationspolitik nichts grundsätzlich bewegt. Im Gegenteil. Wurden einzelne europäische Staaten damals noch von den Regierungen anderer Staaten sowie der Europäischen Kommission für das Errichten von Zäunen zur Abwehr von Migranten kritisiert, so haben mittlerweile mehrere Mitgliedsstaaten die EU gebeten, sie eben dabei zu unterstützten.[2] Zudem kommt es wieder vermehrt zu Tragödien durch das Kentern von Flüchtlingsbooten. Mindestens 1.500 Menschen starben so 2021 allein im Mittelmeer.[3] „Lukas Schemper: SCHIFFBRUCH DER ZIVILISATION. Überlegungen zu einer Metapher“ weiterlesen

Alexander Friedrich: UNTERM RETTUNGSSCHIRM

Dass Rettungsschirme Vorrichtungen sind, mit denen Großschuldner vorm Bankrott bewahrt werden, ist uns spätestens seit der jüngsten Finanzkrise bekannt. Zwar war die Redeweise durchaus länger schon gebräuchlich: So zitiert bereits der Spiegel 1988 den französischen Industrieminister, dass der kriselnde Staatskonzern Renault »sich nicht länger mehr auf den Rettungsschirm des Staates verlassen«[1] könne. Unschwer lässt sich hier die Metapher eines Fallschirms erkennen, der den Absturz verhindern soll, trägt doch der entsprechende Beitrag den Titel »In den Abgrund«. In der Finanzkrise, dreißig Jahre später, erlangt der »Rettungsschirm« allerdings eine eigentümlich schillernde Mehrdeutigkeit. Von welcher Art Schirm war da die Rede, der zunächst »aufgespannt«  und kurz darauf »erweitert« werden sollte (oder auch nicht) und alsbald zu etwas wurde, worunter man »schlüpft« oder »flüchtet«, sich »quetscht«,  bisweilen sogar »gedrängt« wird, obwohl nicht mehr viele »darunter passen«? „Alexander Friedrich: UNTERM RETTUNGSSCHIRM“ weiterlesen