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Künßberg, Eberhard Freiherr von

Geb. 28.2.1881 in Porohy (Polen, damals Galizien), gest. 3.5.1941 in Heidelberg.

 

Nach dem Abitur 1899 in Graz Jurastudium in Wien. 1904 dort Promotion. Danach ein geschichtswissenschaftliches Ergänzungsstudium in München. Seit 1904 war er angestellt bei der Preußischen AdW, an der Arbeitsstelle »Wörterbuch der deutschen Rechtssprache« in Heidelberg (Leitung R. Schröder[1]). 1910 nahm er die deutsche (badische) Staatsbürgerschaft an und habilitierte in der Rechtswisenschaft in Heidelberg. 1928 wurde er a.o. Professor an der Preußischen AdW. Seit 1929 lehrte er auch als Honorarprofessor an der Juristischen Fakultät in Heidelberg, zog einer regulären Universitätsprofessur aber die Tätigkeit am Rechtswörterbuch vor. Dort war er seit 1911 Schriftleiter, seit dem Tod von Schröder 1917 Leiter des Wörterbuchunternehmens. Dieses war 1896 von der Preußischen AdW gegründet worden, der erste Band erschien in Lieferungen von 1914-1932. Bei K.s Tod war der 4. Bd. begonnen (1951 abgeschlossen).[2]

Nach 1933 sollte er als »jüdisch versippt« (wegen seiner Frau) entlassen werden, seine Unersetzlichkeit bei dem pre­stigeträchtigen Wörterbuchprojekt schützte ihn aber (in diesem Sinne intervenierte sogar der Rektor [und stramme Nationalsozialist] Krieck für ihn).[3]

K. vertrat die Einheit von Volkskunde und Rechtsgeschichte im Bereich des deutschen Rechts und publizierte in diesem Rahmen sehr breit, mit dem traditionellen Verständnis von Deutsch, wie es bei Jakob Grimm zu finden ist, also mit Einschluß des Friesischen genauso wie der nordischen Sprachen. Neben sachgeschichtlichen Beiträgen (Rechtswahrzeichen wie Grenzsteine, Bräuche, z.B. »Messerbräuche« u. dgl. mehr) arbeitete er zur sprachlichen Form der Rechtstradierung, von Flurnamen bis hin zur gebundenen Form in Rechtsdenkmälern: Versform, Reimbindung u. dgl. mehr; bei späteren Rechtscodices, besonders beim Sachsenspiegel, behandelt er auch die Rolle von bildlichen Darstellungen im Text.

Als Sprachforscher verdient er nicht nur wegen seiner lexikographischen Arbeit am Rechtswörterbuch Berücksichtigung, sondern auch, weil er früh die methodischen Möglichkeiten der Sprachgeographie für die Sprachge­schichte explorierte. 1926 legte er einen kleinen historischen Rechtssprachatlas vor,[4] in dem er insbes. die inkongruenten Isoglossen mündlicher (dialektaler) und schriftsprachlicher Formen aufzeigte. In einer exemplarischen Auswertung seiner Karten zeigt er die Probleme schriftsprachlicher Diffusion (hier gebunden an den Geltungsbe­reich der Rechtsfamilien, z.T. aber auch an explizite Regelungen einer »Rechtssprachpolitik«, S. 37), bei der insbes. auch Kontami­nationen eine Rolle spielen (z.B. Mißverständnisse niederdt. Termini auf oberdt. Ge­biet bei der Rezeption des Sachsenspiegels). Recht klar stellt er eine onomasiologische Gliederung (bezogen auf vorgegebene Rechtsbräuche bzw. -institutionen) einer semasiologi­schen (bezogen auf bestimmte sprachliche Formen, evtl. mit unter­schiedlicher Bedeutung im Verbreitungsgebiet) gegenüber. Parallel dazu hat er die arealen Geltungsbereiche von Rechtstraditionen, insbesondere zu den Stadtrechten, ebenfalls in Karten dargestellt. Mit dieser Verbindung von materialer Rechtsgeschichte und Sprachgeographie gehört er in die Reihe der Neuerer, etwa der Wörter und Sachen-Richtung.

Außer mit seinen rechtssprachlichen Arbeiten war K. in der Zeit des Ersten Weltkriegs (bei dem er aus gesundheitlichen Gründen kriegsuntauglich geschrieben war) behindertenpädagogisch. [5]

Q: DBE 2005; Nachruf von Fehr, in: Z. d. Savigny-Stiftung f. Rechtsgeschichte. Germ. Abt. 62/1942: XLIII-LVIII; Mußgnug 1988; Buselmeier u.a. (Hgg.) 1985.



[1] R. Schröder, 1838-1917. Rechtshistoriker mit einem sprachwissenschaftlichen Studium. Professuren in Bonn (1866, o. Prof. 1870), Würzburg (1872), Straßburg (1882), Göttingen (1883), Heidelberg (1878).

[2] Bis heute sind 11 Bände erschienen, der 12. Band ist in Druck. Der Abschluß des Unternehmens ist für 2035 projektiert.

[3] Ernst Krieck (1882-1947), Pädagoge, der als strammer Nationalsozialist (und auch SS-Aktivist) Karriere machte: 1933 mit einer Professur in Frankfurt, ab 1934 in Heidelberg; an beiden Universitäten war er auch Rektor (in Heidelberg 1937/1938). K verstarb 1947 in einem Internierungslager. Ein enger Mitarbeiter am Wörterbuch war der Altgermanist und NS-Aktivist von Kienle, s. R. Wachter, in: Eckart u.a. (Hgg.) 2006: 378-379.

[4] »Rechtssprachgeographie«, in: SB. d. Hei­delberger AdW, Phil.-hist. Kl., Bd. 17, 1; Heidelberg: Winter 1926-1927.

[5] FN U.a. gab er damals eine "Fibel für Einarmige und Ohnhänder" heraus, s. dazu J. Riecke, Eine Geschichte der Germanistik und der germanistischen Forschung in Heidelberg, Heidelberg: Winter 2016: 345.

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