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Zimmer, Heinrich Robert

Geb. 6.12.1890 in Greifswald, gest. 20.3.1943 in New York.

 

Z. war Indologe, der in seiner wissenschaftlichen Arbeit of­fensichtlich Zeit seines Lebens einen Kampf gegen das positivisti­sche Wissenschaftsideal seines Vaters führte, des Greifswalder Keltisten und Indogermanisten Heinrich Friedrich Zimmer (1851 - 1910), der auch einen Arbeitsschwerpunkt in der altindischen Sprachwissenschaft hatte (bevor er 1901 die keltistische Professur in Berlin erhielt, hatte er seit 1881 eine für Sanskrit in Greifswald). Z. stu­dierte Sprachwissenschaft in München und vor allem in Berlin bei Wilhelm Schulze; wobei das (Alt-)Germanische (bei Heusler) und das Sanskrit (bei Lüders) dominierten. Seine Dissertation schrieb er über das indische Kastensystem (die Gotras), mit der er 1914 in Berlin bei Lüders) promoviert wurde. Ob­wohl er philologische Perfektion anstrebte und praktizierte, ent­wickelte er eine zunehmende Abneigung gegen die rein formal-mu­seal/konservierende Beschäftigung mit Texten und suchte den direk­ten Zugang zu den darin zugänglichen Inhalten, wobei ihn Buddhis­mus und Taoismus (in Verbindung mit aufgenommenen chinesischen Studien) besonders faszinierten. Seine Weltkriegserfahrungen (er leistete einen vierjährigen Wehrdienst) verstärkten seine Ablehnung rein formaler sprachwissenschaftlicher Arbeit.

Die daraus resultierenden Kon­flikte, insbesondere auch mit Lüders, hat er in seinen autobiographischen Notizen (Q) recht plastisch beschrieben. Sie änderten nichts daran, daß er 1918 traditionell-philologisch in Greifswald in Indologie habilitierte (die Habili­tationsschrift mit einer Untersuchung der bei der Turfan-Expedi­tion gefundenen buddhistischen Texte ist nicht gedruckt worden). 1922 habilitierte er sich auf Wunsch der dortigen Fakultät nach Heidelberg um, wo er aber überwiegend weiter in dieser Tradition lehrte (das Heidelberger Vorlesungsverzeichnis weist regelmäßig in jedem Semester von ihm ein Seminar zur altin­dischen Grammatik und eine Lektüre-Übung von Sanskrittexten aus – neben einer weiteren mit einem philologisch-kulturgeschichtlichen Thema). 1926 wurde er zum a.o. Professor ernannt, erhielt aber nur ein Privatdozenten­stipendium. Die fachliche Ausrichtung blieb wohl auch in den späteren Jah­ren die gleiche, wo er bei seinem Tod ein fertiges Konzept für eine Einführung in das Sanskrit hinterließ (s. Bd. I seiner »Ge­sammelten Werke«).[1]

Wegen seiner »linksgerichteten« Gesinnung war er seit 1933 poli­tisch verdächtig, und es wurde gegen ihn polizeilich ermittelt. Hinzu kam, daß er durch seine Heirat mit der Tochter Hugo von Hofmannsthals »nicht-arisch« versippt war. Die Prominenz der Ehefrau schützte ihn zunächst noch – er konnte sogar noch wiederholt in Verlagsangelegenheiten des verstorbenen Schwie­gervaters nach England fahren. 1938 wurde ihm die Lehrbefugnis wegen der »nicht-arischen« Herkunft seiner Frau entzogen. Nicht zuletzt wohl auch, weil er im deutschnationalen Professorenkreis in Heidelberg engagiert war, verzögerte der Rektor seine Entlassung.[2] Nachdem er Ende 1938 nur knapp einer Verhaf­tung entgangen war, emigrierte er zunächst nach Eng­land (Gastdo­zentur in Oxford), dann 1940 weiter in die USA (New York), wo er an der Columbia Universität als »visiting professor« lehrte.

Sein Oeuvre zeichnet sich, soweit es sich nicht um allgemein-phi­losophische Themen handelt, durch philologisch genaue Kommen­tierungen aus, s. etwa »Mythen und Symbole in der indischen Kunst und Kultur« (zuerst englisch 1946-1951)[3] – eine Ausarbeitung seiner Vorlesungen an der Columbia Universität 1941-1943. Der Schwerpunkt seiner Arbeiten lag bei vergleichender Religi­onsgeschichte bzw. Mythenforschung, die ihn früh in Kontakt zu C. G. Jung brachte (seit 1932 auch im persönlichen Kontakt), unter dessen Einfluß seine Arbeiten stehen (s. bes. sein zuerst 1944 auch von Jung postum herausgegebenes Werk »Der Weg zum Selbst. Lehre und Leben des Indi­schen Heiligen Shri Ramana Maharshi aus Tiruvannamalei«).[4] Daneben betreute er editorisch das nachge­lassene Werk seines Schwiegervaters Hugo v. Hofmannsthal. Z. unternahm auch vergleichende Studien zu europäischen Mythenzyklen, die er mit indischen parallelisierte.[5] Bemer­kenswert bei seiner Bemühung um eine ganzheitliche Interpretation der indischen Kultur ist, daß er nie in Indien gewesen ist (für eine 1936 geplante Reise nach Indien erhielt er nicht die Genehmi­gung). Eine Reihe seiner (kulturgeschichtlichen) indologischen Werke sind in Deutschland wieder aufgelegt worden, die vor allem die indischen Mythen (Sagenkreise) erschließen (s. Q).

Q: DBE 2005; Autobiographie (verfaßt 1943), zuerst 1953 publiziert, jetzt wieder in F. Wilhelm (Hg.), »Heinrich Zim­mer: Die indische Weltmutter. Aufsätze«, Frankfurt: Insel 1980: 233-254; Nachruf von H. von Glasenapp in: Z. Dt. Morgenländischen Ges. 100/1950: 49-51. Biographische Hinweise auch in den Einleitungen zu den von F. Wilhelm neu herausgegebenen Werken: »Maya. Der indische Mythos«, Frankfurt/M.: Insel 1978 (zuerst 1936); »Kunstform und Yoga im indischen Kultbild«, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1987 (zuerst 1926). Stache-Rosen: 216-218; Hanisch 2001.[6]

 

 

 


[1] Ur­sprünglich englisch New York; deutsche Über­setzung Zürich: Rascher 1951.

[2] S. Buselmeier 1985: 281, Jansen 1992: 41, R. Wachter in Eckart u.a. 2006: 376.

[3] Dt. Zürich: Rascher 1951, als Band I der deutschen Übersetzung seiner gesammelten Werke in 5 Bänden erschienen, Band 5 ebd. 1963 (Im Folgenden als WW zitiert).

[4] In: WW Bd. III/1953 – dort auch ein diese Beziehung würdigender Nachruf von E. Abegg, S. 9-12.

[5] Sie wurden erst 1953 aus dem Nachlaß publiziert, s. dazu, mit der Einordnung in die germanistische (literaturwissenschaftliche) Forschung, J. Riecke, »Abenteuer und Fahrten der Seele – Heinrich Zimmers Beitrag zur Geschichte des Mediävalismus in Deutschland«, in: G. Marci-Boehncke (Hg.), »Von Mythen und Mären«, FS für Otfried Ehrismann, Hildesheim: Olms 2006: 499-514.

[6] Sein buntes Liebesleben, zu dem gehörte, daß er neben seiner Ehe mit der Tochter von Hugo von Hofmannsthal eine feste weitere Beziehung hatte, aus der ebenso wie aus der Ehe drei Kinder hervorgingen, ist jetzt in Romanform auf der Grundlage vor allem des brieflichen Nachlasses aufbereitet worden, s. K.Geiser, Vierfleck oder Das Glück, Salzburg: Jung und Jung 2015.

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