Muchow, Martha
Geb. 25.9.1892 in Hamburg, gest. 29.9.1933 (Freitod).
Nach der Lehramtsprüfung 1913 war sie in Hamburg als Volksschullehrerin tätig. Seit 1919 studierte sie daneben an der Hamburger Universität. 1910 wurde sie vom Schuldienst beurlaubt, um am psychologischen Institut als »wissenschaftliche Hilfsarbeiterin« tätig zu sein. Seitdem arbeitete sie dort mit Stern und Werner zusammen, übernahm aber zunehmend auch Aufgaben in der Lehreraus- und -fortbildung. 1923 promovierte sie mit einer Arbeit in der pädagogischen Psychologie. Der Anwendungsbezug wissenschaftlicher Reflexion war bei ihr leitend, wobei sie reformpädagogisch engagiert war (vor allem auch in der Kindergartenpädagogik i. S. von Fröbel und Montessori). Ihre Forschungen zielten anders als sonst im Fach (und auch bei Stern und Werner) auf die Großstadtverhältnisse und dort insbesondere auf die »proletarischen« Kinder; vgl. auch bei Hetzer. Dabei ging M. gegen die (damals wie heute!) vorherrschende Milieu- bzw. Defizittheorien an und rekonstruierte die kulturellen Praxen proletarischer Kinder als kreative Leistungen in der Auseinandersetzung mit der jeweiligen Umwelt – und zwar (auch hier in einem gewissen Tabu-Bereich, gerade auch gegenüber der von Stern vorgebrachten Zivilisationskritik) in der Großstadt, s. »Der Lebensraum des Großstadtkindes«.[1] In systematischer Hinsicht setzte sie damit allerdings den Sternschen Ansatz konsequent um: die kulturelle Praxis der Großstadtkinder wird von ihr als gelernte rekonstruiert. Allerdings fehlen bei M. explizit sprachanalytische Untersuchungen, so daß sie nicht als Sprachforscherin i. S. des Katalogs anzusehen ist.
Am 27.9.1933 nahm sie sich in Reaktion auf die politische Entwicklung das Leben: sie sollte als einzige nicht rassistisch Verfolgte das Sternsche Institut abwickeln und nach ihrer Entlassung in den Schuldienst zurückversetzt werden. Ihr Buch konnte 1935 postum noch von ihrem Bruder veröffentlicht werden.
Q: J. Zinnecker, Einleitung zum Nachdruck von »Der Lebensraum ...«, dort S. 10-45; Schriftenverzeichnis S. 46-49; R. Miller in: Volkmann-Raue/Lück 2002: 167-181.
[1] Zuerst (postum) 1935 in Hamburg (Riegel Verlag) erschienen, repr. Bensheim: päd. extra 1978.