Ranke, Hermann Heinrich Johannes
Geb. 5.8.1878 in Balgheim (heute: Möttingen) b. Nördlingen, gest. 22.4.1953 in Freiburg/Br.
R. studierte seit 1898 zunächst in Göttingen und Greifswald Theologie, ab 1899 in München Semitistik und Ägyptologie. 1902 promovierte er dort mit einer assyriologischen Arbeit über die Personennamen in den Funden einer archäologischen Expedition der Universität Philadelphia, die ihm von 1902-1905 eine Arbeitsstelle an der orientalistischen Abteilung des Universitätsmuseums in Philadelphia einbrachte. Dort publizierte er das vollständige Quellenmaterial seiner Dissertation mit umfassenden namenkundlichen, etymologischen und (semitisch) sprachvergleichenden Untersuchungen.[1] In Philadelphia bearbeitete er weiteres Keilschriftmaterial dieser Expedition: so publizierte er 1906 als Bd. VI, 1 der gleichen Ausgabe Geschäftsbriefe und Urkunden aus der Zeit der ersten babylonischen Dynastie, wieder mit umfangreichen Abbildungen, Umschriften sowie sprachwissenschaftlichen und kulturgeschichtlichen Erläuterungen.
1905 kehrte er nach Deutschland auf eine Stelle als »Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter« an der Ägyptischen Abteilung des Königl. Museums in Berlin zurück, wo er bei der Verzettelung des Materials für das Ermansche Wörterbuch beschäftigt wurde. Die Verschiebung seines Arbeitsschwerpunktes von der Keilschriftforschung zur Ägyptologie wird deutlich bei seiner darauf bezogenen Arbeit: »Keilschriftliches Material zur altägyptischen Vokalisation«,[2] in der er die keilschriftlichen Umschriften ägyptischer Wortformen (insbes. Namen) im Vergleich mit anderssprachigen Umschriften (griechisch ...) zur Rekonstruktion der ägyptischen Lautform nutzt. Vermutlich habilitierte er 1910 mit dieser Arbeit in Heidelberg, wo er im gleichen Jahr zum a.o. Professor ernannt wurde (1911 etatisiert). 1922 wurde er zum o. Prof. ernannt.
Seine Kontakte zu den USA hielt er aufrecht, 1932/1933 hatte er eine Gastprofessur an der Universität Madison/Wisc. Wegen seiner »nicht-arischen« Ehefrau gab es seit 1934 Bestrebungen, ihn zu entlassen, er wurde aber von der Universität (Dekan Güntert) gestützt. Nachdem 1937 ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet wurde, weil seine Frau einen Fahnenflüchtling »begünstigt« hatte, wurde er 1938 in den Ruhestand versetzt.[3] R. fuhr daraufhin sofort wieder zu Vorlesungen an die Univ. Wisconsin. Er hatte vorher schon seine Emigration vorbereitet, denn bereits im November 1937 beschloß das US-amerikanische Emergency Committee, finanziert von der Rockefeller Stiftung, ihm eine Gastprofessur für Ägyptologie an seiner alten Universität in Philadelphia zu ermöglichen, wo er später als Kurator der ägyptologischen Abteilung des Museums fest angestellt werden sollte.
R.s Situation in der folgenden Zeit ist reichlich verwirrend (s. Mußgnug: 134-135): er reiste noch einmal nach Deutschland und erklärte öffentlich, nicht auswandern zu wollen. Daraufhin galt er offiziell als Reichsdeutscher in den USA – und seine Frau, die 1940 von den USA wieder nach Deutschland zurückkehrte, bezog später auch dort das Ruhegehalt. In den USA wurde er von der dt. Botschaft auch amtlich als Nicht-Emigrant behandelt – und nach Kriegseintritt der USA 1941 vorübergehend interniert. Im Mai 1942 kehrte er wieder nach Heidelberg zurück und erhielt dort die Erlaubnis, wieder im Ägyptologischen Institut zu arbeiten.
Im Sommer 1946 wurde R. regulär emeritiert. Er nahm seine Lehrtätigkeit wieder auf – mit nahezu identischen Ankündigungen seiner früheren Veranstaltungen (bis WS 1937/1938): einführende Veranstaltungen: ägyptische Grammatik, koptische Grammatik; für Fortgeschrittene: hieroglyphische Inschriften, koptische Texte, sowie eine kulturgeschichtliche Übung zur ägyptischen Vor- und Frühgeschichte. 1947/1948 amtierte er sogar als Dekan, danach war er wieder für Gastprofessuren beurlaubt: 1948 in Philadelphia, 1950-1952 in Alexandria (Ägypten).
Sein Hauptarbeitsgebiet war die sprachwissenschaftliche Aufbereitung archäologischer Funde, über die er auch einen großen Einfluß auf die so ausgebildeten Archäologen nahm – wobei er das Fach in der Ermanschen Tradition als Sprachwissenschaftler verstand, in der Einheit vom Altägyptischen bis zum Koptischen. Zu dem letzteren hatte er selbst eine Expedition der Heidelberger Akademie 1913-1914 mitbetrieben, s. seine Ausgabe der epigraphischen Materialien (ohne die Papyri): »Koptische Friedhöfe bei Karâra und der Amontempel Scheschonks I bei El Hibe«.[4] Sein Hauptwerk war die Bearbeitung und Herausgabe des Namenmaterials aus der Berliner ägyptischen Wörterbuchsammlung: »Die ägyptischen Personennamen. Bd.1. Verzeichnis der Namen«,[5] Bd. 2. »Einleitung; Form und Inhalt der Namen; Geschichte der Namen; Vergleiche mit anderen Namen; Nachträge und Zusätze zu Bd. 1; Umschreibungslisten«.[6] Wie er dort selbst betont, hat er die sprachvergleichende Auswertung dieser Edition entsprechend seiner babylonischen Dissertation nicht mehr durchführen können. Zu einer bestimmten Namengruppe hat er eine eigene Untersuchung vorgelegt: »Grundsätzliches zum Verständnis der ägyptischen Personennamen in Satzform«,[7] die mit Parallelen vor allem aus dem Biblisch-Hebräischen, aber auch anderen Sprachen[8] Satznamen aus Äußerungen bei der Geburt erklärt.
Erman übertrug ihm auch die Neubearbeitung seines Überblicksbuchs »Ägypten und ägyptisches Leben im Altertum«,[9] das R. 1923 auf den Stand der inzwischen enorm angewachsenen Kenntnisse brachte und so bis heute zu einem Standardwerk der Ägyptologie machte. Er behielt aber auch seine Beziehungen zur Altorientalistik im weitesten Sinne bei, wie z.B. seine Übersetzung »Das Gilgameschepos«[10] zeigt, die philologisch sorgfältig gegenüber der Überlieferung Passagen markiert, die nur interpolierte sind.
Q: Nachruf von E. Schott, in: Z. Morgenländ. Ges. 105/1955: 17-26 (mit Bibliographie – in den biogr. Daten aber korrekturbedürftig); BHE; Drüll; Mußgnug; E/J; Rockefeller Arch. Center; Hanisch 2001: 79; Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 7/1994; NDB (G. Burkard).
[1] In: H. v. Hilprecht, (Hg.), »The Babylonian Expedition of the University of Pennsylvania«, Series D, Bd. III, Philadelphia: Univ. Pennsylvania 1905.
[2] In: Abh. Vgl. Preuß. AdW., Phil.-hist. Kl., Anhang Nr. 2/1910: 1-96.
[3] Zu dem damit verbundenen Lehrverbot s. auch Assmann in: Prinz/Weingart: 337; Vezina 1982. R. konnte allerdings auch für sich den »Arier-Nachweis« nicht erbringen, s. E/J.
[4] Berlin/Leipzig: de Gruyter 1926.
[5] Glückstadt: Augustin 1935.
[6] ebd. 1952.
[7] Sitzungsberichte der Heidelberger AdW, Phil.-hist. Klasse, Heidelberg: Winter 1936/1937.
[9] Tübingen: Mohr 1923.
[10] Hamburg: Bund der Buchfreunde 1924 (Neuauflage Wiesbaden: marixverlag 2006).