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Husserl, Edmund Gustav Albrecht

Geb. 8.4.1859 in Proßnitz (heute: Prostějov) bei Olmütz (heute Olomouc, Tschechische Republik), gest. 29.4.1938 in Freiburg /Br.

H. stammte aus einer jüdischen Familie, konvertierte aber und ließ sich 1887 evgl. taufen und trauen. Er studierte 1878 - 1880 in Berlin Mathematik und Phy­sik, insbesondere bei Weierstraß,[1] schloß sein Studium aber in Wien ab, wo er 1882 seine Dissertation "Beiträge zur Theorie der Variationsrechnung" (also einem Grundproblem der Analysis) vorlegte, mit der er 1883 dort promoviert wurde.[2]  Die mit der Mathematik verbundenen er­kenntnistheoretischen Probleme, vor allem die damals die Dis­kussion bestimmenden Probleme einer Kritik des Empirismus, ver­folgte er in Wien bei dem Philosophen Brentano weiter.[3]  Auf dessen Empfehlung setzte H. seine Studien in Auseinandersetzung mit den methodologischen Diskussionen im Ausgang von der jungen experimentellen Psychologie in Halle bei Stumpf fort, wo er 1887 mit einer Arbeit zur Zahlentheorie habilitierte.[4] Seitdem lehrte er dort als Privatdozent in der Philosophie.

1901 wurde er auf Betreiben der Mathematiker (vor allem D. Hilberts)[5] nach Göttingen berufen, zu deren Enttäuschung er aber seinen Ar­beitsschwerpunkt nicht mehr in die mathematische Grundlagenfor­schung legte (und nach der Spaltung der Fakultät auch nicht mit zu den Naturwissenschaften ging). In Göttingen gab H seinem Unternehmen eine systematisch philosophische Ausrichtung, deutlich in den "Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie" (1913, s.u.), zugleich mit der Herausgabe (zusammen mit anderen) des "Jahrbuch für Philosophie und philosophische Forschung". Dieses war Ausdruck einer zunehmend breiter werdenden philosophischen Richtung, die auch zur Folge hatte, daß H. 1916 als o. Prof. f. Philosophie nach Freiburg berufen wurde, wo er seinen phänomenologischen Ansatz nicht zuletzt mit einer Reihe von Mitarbeitern weiter ausbaute, die er z.T. privat beschäftigte (u.a. seit 1919 M. Heidegger [1889-1976]; seit 1923 L. Landgrebe [1902-1991]). 1928 wurde er emeritiert, setzte aber seine Arbeit auch im universitären Rahmen fort, bis ihn 1933 die rassistische Verfolgung davon ausschloß.

Zu seiner bit­teren Enttäu­schung war dabei sein früherer Mitarbeiter Heidegger Akteur, der sich bis dahin selbst als sein Schüler präsentiert hatte und ihm nach der Emeritierung 1928 auf dem Freiburger Ordinariat nachgefolgt war. Als Rektor der Universität führte dieser die gegen H. gerichteten Verfolgungsmaßnahmen durch. H. war schon von Heideggers Vorgänger im Amt am 6.4.1933 entlassen worden, dann aber am 28.4.1933 nach einem entsprechenden kultusministeriellen Erlaß zum "Frontkämpferprivileg" für "Universitätsangehörige der jüdischen Rasse" (das H. wegen eines im Weltkrieg gefallenen Sohnes betraf) von dem inzwischen zum Rektor ernannten Heidegger wieder eingestellt.[6] H. fühlte sich von der rassistisch begründeten Entlassung tief getroffen und wurde trotz ihrer Aufhebung an der Universität nicht mehr aktiv. Heidegger hatte ohnehin schon den persönlichen Kontakt mit ihm abgebrochen. Vermutlich befaßte H. sich seitdem mit Auswanderungsüberlegungen, s.u. zu seinen Verbindungen nach Prag. Nach den "Nürnberger Gesetzen" wurde H. 1936 endgültig entlassen und auch mit einem Lehrverbot und einem Hausverbot an der Universität belegt.

Eine systematische Auseinandersetzung mit H.s Werk muß vor allem auch den  Bruch in Reaktion auf den Ersten Weltkrieges einbeziehen. Darin hatte H.den Kollaps des »europäischen Geisteslebens« gesehen, von dem er als rassistisch Verfolgter doppelt betroffen war. In Göttingen war H. in ein jugendbe­wegtes, zivilisationskritisches Umfeld gekommen, dessen Kritik an der Wil­helminischen Gesellschaft sich in der Katastrophe des Ersten Welt­krieges bestätigt sah (s. auch sein Vorwort von 1920 zur Neu­auflage der »Logische[n] Untersuchungen«, in Bd. II/2). Eine umfassende Auseinandersetzung mit H.s Werk geht über den Rahmen dieses Beitrags hinaus, der nur die sprachtheoretischen Aspekte fokussiert, die als Grundlegung einer systematischen Grammatiktheorie einen großen Einfluß auf die Sprachforschung (und zeitgenössisch auch auf die Sprachwissenschaft) hatten. Die darüber hinausgehenden Fragen, die in der jüngeren Sprachphilosophie mit der Kritik an H.s Fortschreibung der traditionellen Bewußtseinsphilosophie angesprochen werden (oft als Kritik eines solipsistischen Ansatzes), bleiben hier ausgeklammert - sie müßten im Zusammenhang mit Heideggers existenzialistischem Neuansatz diskutiert werden.

H.s frühe Arbeiten waren, wie es zeitgenössisch ohnehin in der Sprachforschung generell der Fall war, psychologisch ausgerichtet. In der Habilitationsschrift explorierte er die Möglichkeit, die Grundbegriffe der Arithmetik psychologisch durch die Analyse kognitiver Prozesse (in letzter Instanz: das Zählen) zu rekonstruieren. Unter psychologischen Prämissen beruht der grundlegende kognitive Akt auf Abstraktion: Grundlage des Zählens ist die Abstraktion zur Einheitsfigur etwas ("eins"). Erweitert hat er diese Untersuchung dann als "Philosophie der Arithmetik. Psychologische und logische Untersuchungen" publiziert.[7] Der erweiterte Untertitel zeigt hier schon eine Abgrenzung von der Psychologie (dafür steht hier auch die Widmung an Brentano): Mathematik ist auf Logik zu gründen, nicht auf Psychologie.

Zwar gibt es für ihn auch in der psychologischen Forschung eine Art asymptotischer Annäherung an das, was er später die "noetischen" Gegenstände nannte (s. dazu Fn. 57), so vor allem in den sich damals nicht zuletzt am Stumpfschen Institut formierenden gestalttheoretischen Ansätzen (s. zu Stumpf, S. 231, zu Ehrenfels S. 236), aber im Gegensatz zu diesen sind die Grundlagen der Mathematik semiotisch zu fassen, wie er es hier schon explizit formulierte:[8] ihre symbolische Grundstruktur geht über die  "Wortsprachen" hinaus, für die er festellt, daß deren Zeichen nur kontingente Begleiterscheinungen von Gedanklichem sind, während mathematische Gegenstände durch die Zeichen und den Umgang mit ihnen konstituiert werden. Daher sind die mathematischen Begriffe auch nicht aus der Anschauung zu gewinnen, die in Rechenoperationen fundieren, die zu den vielfältigen unterschiedlichen Zahlsystemen der Sprachen der Welt geführt haben (er verweist u.a. auf die Arbeiten von Pott, S. 287). Deutlich wird das bei anschaulich nicht zu füllenden Begriffen wie dem Unendlichen, das nicht nur durch das "Bildungsprinzip" des Induktionsschlusses zu gewinnen ist (im schematischen Fortschreiten im Schema n + 1, mit n als Variable für eine Zahl), sondern auch als Menge mit der Mächtigkeit unendlich zu fassen ist (bes. S. 246-250).[9]

Seine späteren Bemühungen um eine lebenspraktische Grundlegung der Reflexion sind hier schon in dem Verweis auf die Entlastung komplexer kognitiver Operationen von der Bindung an die Anschauung durch die symbolische Praxis angelegt (S. 304). Bei seinem Abgleich mit anderen Ansätzen kritisiert er auch Frege,[10] bei dem er grundätzlich zwar die Übereinstimmung in der Abgrenzung von psychologischen Begründungsversuchen herausstellt, und damit ein strikt begriffliches (ideales) Verständnis des mathematischen Gegenstands, dessen rein formal konstruierendes Vorgehen er aber als "chimerisch" kritisiert, weil es die Fundierung der Begriffe in der kognitiven Bearbeitung der Erfahrung ausblendet. Frege revanchierte sich für diese Kritik mit einem harschen Verriß des Buchs.[11]

H. suchte einen neuen analytischen Ansatz, durchaus entsprechend zu dem, was mit z.T. anderen Ausgangspunkten zeitgenössisch in verschiedenen Versuchen einer kognitionswissenschaftlichen Grundlagenforschung unternommen wurde. Dazu diente insbesondere das Gestaltkonzept, wie es am Stumpfschen Institut entwickelt wurde, in dessen theoretischem Kern auch H.s Arbeiten angesiedelt waren:[12]mit einer Gestalt wird im H.schen Sinne eine ideale Struktur expliziert. Auf einer parallelen Analyseschiene wurden diese Überlegungen in der damaligen »Denkpsychologie« entfaltet, in der sie auch direkt sprachanalytisch von Vertretern wie Bühler und Selz umgesetzt wurden. In seinem späteren Werk hat H. die gestalttheoretischen Grundannahmen nochmal systematisch aufgegriffen, so besonders mit dem Konzept von Limes-Gestalten als grundlegender Form der Überwindung der unmittelbaren Sinneseindrücke bei ihrer kognitiven Bearbeitung (so in dem vollständig erst 1956 posthum erschienenen: „Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie",[13] s.u.).
 

Ein entscheidender Anstoß für seinen Neuansatz ist wohl von seiner Auseinandersetzung mit Frege ausgegangen (s.o. zur Kontroverse um seine Habilita­tionsschrift).[14]  Aus­gangspunkt ist eine kriti­sche Sichtung der positivistischen Psy­chologie. H. blieb in gewisser Weise bei den positivistischen Vorgaben des 19. Jhdts., indem er von den Gegebenheiten und Erfahrun­gen (in der Sprache: den Äußerungen) ausging (und so widmet er das Werk auch Carl Stumpf). Aber die Erfahrungsstrukturen sind keine Abbildung von Sinnesdaten, sondern Produkt von Bewußtseinsakten; die Bedingung für deren Möglichkeit rekonstruiert H. zeichentheoretisch (er spricht auch von 'semiotisch'), wobei er sorgfältig zwischen lerntheoretisch faßbaren Verknüpfungen von empirischem Zeichenge­brauch und dessen Wirkungen auf der einen Seite und der diesem gegen­über logisch un­abhängigen intentionalen Zeichenstruktur trennt (Intention als Gerichtetheit nicht nur der Wahrnehmung [Aufmerksamkeit], sondern jeder kognitiven Aktivität und ihres Resultats). Die Intention wird so zum Schlüsselbegriff in seinem später ausgebauten phänomenologischen Unternehmen.[15]

Mathe­matische Grundlagenprobleme beschäftigten H. zeitlebens weiter, wie nicht zuletzt die Publikation seines Nachlasses zeigt. Hier ist es nicht möglich, H.s Werk insgesamt darzustellen. In kompakter Form hat er das selbst in einem Artikel »Phenomenology« für die 14. Auflage der Encyclopædia Britannica getan, der auch zu seiner internationalen Bekanntheit erheblich beigetragen hat.[16]  Eine von ihm ausdrücklich autorisierte Darstellung des phänomenologischen Unternehmens hat 1933 sein damaliger Freiburger Assistent Eugen Fink (1905-1975) geliefert.[17]

Gegen die damals dominierende neukantianische Ausrichtung der Philosophie, die als spekulatives Unternehmen von der Erfahrungswelt abgeschottete »transzendentale« Fragen anging, setzte H. bei den Bemühungen an, erkenntniskritische Fragen auf einer empirischen Grundlage zu bearbeiten, in Auseinandersetzung mit der damaligen Psychologie, an der er kritisierte, daß sie es mit ihrer Ausrichtung auf beobachtbare Prozesse versäumt, die konzeptuellen Voraussetzungen dafür zu analysieren. In einer Verallgemeinerung dieser Fragestellung verstand er sein Unternehmen als wissenschaftstheoretische Grundlegung für jede Art empirischer Wissenschaft – allerdings nicht im Sinne einer Reduktion auf empirische Daten wie in der damaligen instrumentell verfahrenden Psychologie, sondern gerade auch als Kritik an dem "naiven" Glauben an deren Gegebenheit. So wie es damals auch die Grundlagendiskussion in den Naturwissenschaften bestimmte, setzte für ihn eine systematische Analyse die Idealisierung ihres Gegenstands voraus – gegenüber der konfusen Überlagerung durch heterogene Momente in der Alltagserfahrung.[18]  Orientierend war für ihn die Neuausrichtung der modernen Philosophie durch Descartes: die Frage nach der Gewißheit bei dem, was wir "wissen".[19]  

Im Sinne der kritischen Philosophie in der Nachfolge von Kant zielt die Analyse auf die Explizitierung ihrer Bedingungen – wie bei Kant als transzendental bezeichnet.[20] Ein solches Unternehmen der Vergewisserung ist zwangsläufig subjektiv, aber damit nicht im Rückgang auf das empirische (sinnlich faßbare) Ich, sondern auf das kognitive ego (das (ego) cogitō bei Descartes‘). Die Elemente der Analyse sind in diesem Sinne ideale Größen – gegenüber den empirisch faßbaren Beobachtungen verlangen sie deren Idealisierung. In diesem Sinne ist auch für die Sprachanalyse eine idealisierende Modellierung von Sprache notwendig: Gegenstand der theo­retischen Explikation ist nicht die komplexe und überde­terminierte Sprachpraxis selbst, die allerdings den phänomenalen Ausgangspunkt der Analyse bilden muß.

Damit ratifizierte H. gewis­sermaßen aber auch die methodologische Entwicklung der Sprachwissenschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts und legte die Grundlage für die moderne Sprachtheorie, für die diese Idealisierung konstitutiv ist, in unterschiedlichen begrifflichen Ausformungen: Sprache ereignet sich kommunikativ (in Mitteilungen) und sie kommt so in die Welt, aber sie ist dadurch nicht zu definieren. Den analytischen Ansatzpunkt suchte H in der sprachlichen Form, in der Wissen reflektiert und artikuliert wird: so im Anschluß an Brentano (s.o.), der die ontologischen Grundbestimmungen von der Form her entwickelt hatte, in der sie ausgesagt werden können (ausgehend von der aristotelischen Kategorientafel). Daraus resultierte H.s lebenslanges Unternehmen, sich der formalen (sprachlichen) Bedingungen für die Artikulation von Wissen zu vergewissern, wodurch er entscheidende Grundlagen für die neuere Sprachtheorie gegeben hat - was seine ausführliche Berücksichtigung in diesem Katalog begründet.

H. hatte sein Unternehmen zunächst in direkter Auseinandersetzung mit den Bemühungen der »philosophischen Psycho­logie« entwickelt, Denkstrukturen aus der empirischen Untersuchung mentaler/kognitiver Operationen induktiv zu entwickeln, wie bei seinen oben angesprochenen Arbeiten zur Mathematik deutlich ist. Darauf war auch sein sprachtheoretischer Ansatz als kritisches Korrektiv bezogen - über das hinaus er zunächst noch keine eigenständige Sprachrefle­xion unternommen hatte. Nicht zuletzt in Reaktion auf Kritiken verschoben sich die Akzente seiner Reflexion.[21] Einen ersten systematischen Aufriß lieferte er mit seinen  »Logische[n] Untersu­chungen« (1900-1901),[22] die seine Kritik der Reduktion kognitiver Strukturen auf psychische Prozesse systematischer entwickelten. Dort ist die Kritik an dem endemischen Psychologismus in den Geisteswissenschaft Gegenstand von Bd. 1 - zu unterscheiden von der empirischen psychologischen Forschung, die für ihn nicht infrage stand. Für dieses Unternehmen verwendete er seitdem die Bezeichnung Phänomenologie (im Sinne der bei den griechischen Philosophen kritisch genutzten Losung des sōizein ta phainomena [σῴζειν τὰ φαινόμενα], »die Erscheinungen [Wahrnehmungen, Erfahrungen] retten«):[23] also statt der Konstruktion eines Begriffssystems, das analytisch über die zu untersuchenden Beobachtungn gelegt wird, von dem Gegenstand ausgehen, wie er dem Beobachtenden (unmittelbar) erscheint. Das entscheidende Moment bei dem Ausgang von Phänomenen statt von Dingen o. ä. liegt in der damit herausgestellten Koppelung der analytischen Fragen an das analysierende Subjekt, dem sich die Phänomene zeigen, und der Art, wie sie sich ihm zeigen - es geht nicht um metaphysische "Dinge an sich". 
 

Ausgangspunkt sind entsprechend nicht gesetzte Annahmen, aus denen theoretische Sätze deduziert werden, sondern konkrete (sinnliche) Erfahrungen, für deren Reflexion es gilt, die Bedingungen ihrer Möglichkeit zu ermitteln. Jeder empirische Tatbestand ist »intentional«  konstituiert, also als Gegenstand der Aufmerksamkeit oder einer praktischen Handlung bestimmt. Die naive Praxis bleibt in dieser »natürlichen« Einstellung und spielt diese Gegenstandskonstitution gewissermaßen weiter, während die phänomenologische Analyse alle solche „mundanen“ Gegenstände ausklammert und die Form der Erfahrung reflektierend zum Gegenstand macht.[24]  Ziel ist es, auf diese Weise in den Griff zu bekommen, was notwendig zu der Erfahrung und dem reflektierten Umgang mit ihr gehört - eben deren Form, während der darin gefaßte Gegenstand kontingent ist. In seinem weiteren Werk hat H. diese Herangehensweise als phänomenologische Reduktion expliziert.

Mit seinen »Logische[n] Untersuchungen« war H. bestimmend für die damals vielfach versuchten theoretisch ausgewiesenen Neuansätze in der Sprachforschung, insbesondere mit dem begrifflichen Aufriß im zweiten Band. Sein Einfluß ging daher auch über die posthum veröffentlichten Vorlesungen von Saussure ("Cours de linguistique générale", 1916) hinaus, die von Fachgenossen überwiegend als didaktische Darstellung selbstverständlicher Grundannahmen gelesen wurden.[25] So findet sich in den »Logische[n] Untersuchungen« auch viel von dem, was quasi als Axiome aus dem „Cours“ herausgelesen wird, und zwar systematisch expliziert. Z.B. entwickelt H. die Arbitrarität des sprachlichen Zeichens[26] im Zusammenhang der möglichen Architekturen von Zeichensystemen, mit der Ähnlichkeit als diskriminierendem Kriterium: wenn „Name und Genanntes … nichts miteinander zu tun haben“ (LU II/2: 55), sind sie universal nutzbar, also viel mächtiger, als wenn sie durch eine ikonische Bindung der Bezeichnung in ihrer Domäne beschränkt sind.

Unmittelbare Wirkung übten die »Logische[n] Untersuchungen« vor allem durch die Grundlegung der Grammatiktheorie aus (bei H. »die Idee der reinen Grammatik«, Band II/1, Teil IV). Durch seine phänomenologische Rekonstruktion der Grammatik »ret­tete« er die Eigenständigkeit grammatischer Strukturen nicht nur gegen eine psychologistische Reduktion auf Verknüpfun­gen von Empfindungen, sondern auch gegen eine logische Reduktion: es gilt, die an die grammatischen Formbestimmungen gebundenen spe­zifischen Bedeutungsimplikationen einer Äußerung zu rekonstruieren (wie sie für je­den Sprecher der jeweiligen Sprache notwendig mit ihr verbunden sind)  - in Abgrenzung also von logisch universa­len Folgerungen ebenso wie von kontextgebundenen Bedeutungser­schließungen. Nicht zufällig rekurriert er in diesem Zusammenhang denn auch auf den "hoch verehrten Forscher" W. v. Humboldt (Bd. II/1: 342). In der Tradition der grammatica speculativa, wie sie außerhalb der philologisch be­schränkten Sprachwissenschaft (und ihres Gegenparts: den Junggram­matikern) im 19. Jahrhundert fortentwickelt wurde, ex­plizierte H. dort die Grammatik als Syntaxtheorie, die grammatische Bedeu­tung an der syntaktischen Formanalyse festmachen muß (in diesem Sinne spricht er durchgängig von Syntax) - unabhängig von der ak­tualen Bedeutungserfüllung, da nicht nur falsche Sätze Be­deutung haben, sondern auch grammatisch wohlgeformte, ansonsten aber sinn­lose; dabei operierte er mit einer Unterscheidung von formal (grammatisch) möglichen Sätzen wie dieser Gedanke ist grün gegenüber formal ausgeschlossenen (ungrammatischen) Ausdrücken wie ein Baum ist und (II/1: 319-320); diese Unterscheidung ist grundlegend für die neuere Grammatiktheorie.[27] 

Grundlegend war seine Klärung der Begrifflichkeit struktureller Abhängigkeit, die er in Bd. II/1 unternahm (dort Teil III "Zur Lehre von den Ganzen und Teilen"). Dort entwickelte er sein Konzept der Fundierung: ein Begriff A fundiert in B, wenn A nicht ohne Rückgriff auf B denkbar ist (s. S. 261 und 275). Mit den an der Anschauung "abgelesenen" Verhältnissen von Teilen zu ihrem Ganzen werden heterogene Strukturen verdeckt, die er mit detaillierten Fallunterscheidungen freilegt, wobei er herausarbeitet, daß es um Konzepte geht, die dem damit ggf. empirisch Gefaßten gegenüber unabhängig sind: Kopf ist z.B. ein korrelatives Konzept, das notwendig etwas impliziert, von dem ein Kopf Kopf ist. Das schließt auf der empirischen Ebene nicht aus, u.U. einen Kopf als eigenen Gegenstand (also "selbständig") zu behandeln, der dann ohne diese begrifflichen Implikationen gefaßt wird (S. 235). Die formale Analyse (verstanden als Grundlage für die Interpretation der entsprechenden Ausdrücke) erfolgt so nicht als isolierte Bedeutungszuweisung zu sprachlichen Termen, sondern in Feldstrukturen (vgl. S. 249). Insofern sind auch die grundlegenden Abhängigkeitsstrukturen (mit den Termen von abhängigen, also unselbständigen, gegenüber selbständigen Momenten) von den Vorstellungen zu unterscheiden, die ggf. bei kognitiven Akten als Begleiterscheinungen freigesetzt werden  (oft als "Inbegriffe" des in den Blick Genommenen gefaßt - die ungenügende Differenzierung belastet auch heute noch die einschlägigen Diskussionen).

Mit solchen analytischen Vorgaben hatte H. nicht nur auf einer philosophischen Ebene den Weg für einen Neuansatz der Sprachtheorie freigemacht, sondern er hatte auch opera­tive Wege für die sprachwissenschaftliche Analyse gezeigt, die aus den eingefahrenen (insbesondere auch junggrammatischen) Sackgassen herausführen konnten. Entsprechend enthusiastisch war die Rezeption: in Deutschland im Kreis der Neuerer, die sich zwar überwiegend eher global »anregen« ließen (wie z.B. Weisgerber, der sich damals durchgängig auf H berief), aber durchaus auch nach einer analytisch-deskriptiven Umsetzung suchten wie vor allem Porzig, der eine entsprechende kategorialgrammatische Syntaxanalyse versuchte.[28]  International und folgenreicher wurde der grammatik­theoretische Teil der »Untersuchungen«: im Moskauer Linguistenkreis[29] und dann später in dessen Fortsetzung bei den Pra­ger Linguisten. Dort hat insbesondere Roman Jakobson H.s phänomenologischen Ansatz aufgenommen und ihn dann auch in seinem späteren Werk genutzt, um die Sprache vor der traditionellen Engführung auf ein reines Bezeichungsmodell zu "retten" und sie in den verschiedenen Dimensionen unseres Umgehens mit ihr auszuloten. Im deutschen Sprachraum setzte sich vor allem Karl Bühler auf einer grundsätzlichen Ebene mit H.s Arbeiten auseinander, s. bei diesem.[30]

Die von H. in den frühen Jahren nicht für die Veröffentlichung redigierten Arbeiten, z.B. seine Vorlesungen, zeigen, wie er sich auch schon früh den Anforderungen der Sprachanalyse stellte, die mit den "Logischen Untersuchungen" erst als Programm definiert waren. Dazu gehörte z.B. eine Vorlesung über "Bedeutungslehre", die er 1908 gehalten hat.[31] Im Horizont der jüngsten grammatiktheoretischen Entwicklungen in der Folge der Weiterent­wicklung der formalen Lo­gik hat sich vor allem die Formalisierung der H.schen universalen Grammatik (»Kategori­algrammatik«) als außerordentlich tragfähig erwiesen.[32]

H. selbst hat später die  "Logischen Untersuchungen" nur als einen unzureichenden ersten Entwurf charakterisiert. Schon kurz nach deren Veröffentlichung begann er die Arbeit an einer auf drei Bände geplanten Darstellung seines „Systems“, von dem 1913 der erste Band erschien: "Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie".[33] Obwohl er den zweiten Teil in den 1920er Jahren auch schon weitgehend fertiggestellt hatte, veröffentlichte er ihn nicht mehr, ebenso wie den dritten Teil.[34] Die solipsistische Konstruktion seiner Argumentation, ihre Projektion auf ein „einsames Seelenleben“ befriedigte ihn offensichtlich nicht. Schon in den „Ideen II“ ist die Rede vom fundierenden „kommunikativen Umgang“ mit den herausgestellten Formen (in der Ausgabe 1952: 29), die die Bedeutung zu einer „intersubjektiven“ Größe macht (ebd. S. 30).[35]

Wie oben schon mit dem Bruch in seinem Denken in Reaktion auf den Ersten Weltkrieges angesprochen, war er dabei, seinen konzeptuellen Rahmen neu zu justieren. Für ihn wurde die damit verbundene Krisen-Erfahrung bestimmend, die mit dem philosophischen Problem nicht deckungsgleich war, als das er es zunächst in Auseinandersetzung mit dem für ihn naiven positivistischen Grundverständis der Naturwissenschaften angegangen war. Vielmehr resultierte für ihn daraus eine Öffnung zu einem reicheren Verständnis von Sprachpraxis und eine Auseinan­dersetzung mit den zeitgenössischen hermeneutischen Ansätzen (etwa bei Wilhelm Dilthey, 1833-1911).

Dem entspricht der phänomenologische Ausgang von den axiomatisch gesetzten Erfahrungen (aber nicht von postulierten Axiomen), die analytisch zu explizieren sind: in der phänomenologische Reduktion, die H. in seinem weiteren Werk systematisch ausarbeitet – ausdrücklich im Gegensatz zu einem Verfahren, das seinen Gegenstand konstruiert.[36] Die Explikation (anders als z.B. eine narrative Fortsetzung der Inszenierung der Erfahrungen im Fokus) zielt auf die Bedingungen für ihre Möglichkeit (insofern eben ein transzendentales Unternehmen in der von H. reklamierten Kantischen Tradition).

Die als Gegenstand vorgegebenen Erfahrungen konstituieren sich in der Welt und sind daher auch als solche zu rekonstruieren. Das macht den Unterschied zu den Naturwissenschaften aus, an denen das philosophische Subjekt-Objekt-Schema gewissermaßen abgelesen ist: bei der phänomenologischen Reduktion bestimmt dieses Schema auch den Objektbereich selbst, der intersubjektiv verfaßt ist, der von Personen aufgespannt wird, die ihrerseits Erfahrungen machen. Auch wenn die Welt subjektiv erfahren wird, wird sie zwangsläufig als intersubjektiv erfahren, zugänglich über kommunikativ vermittelte konzeptuelle Strukturen, die ontogenetisch auch kommunikativ gelernt werden. Insofern ist die Sprachanalyse auch konstitutiver Bestandteil des phänomenologischen Unternehmens.

Einen systematischen Aufriß seines Neuansatzes gab H. am Ende der 1920er Jahre in „Formale und transzendentale Logik".[37] Dort legte er die Prä­missen jeder Sprachreflexion frei, indem er die in seinem frühen Forschungsprogramm ausgeblendeten Momente in den Blick nahm. In den »Logische[n] Untersuchungen« hatte er die konstitutiven symbolischen Strukturen aus der Funktion der sprachlichen Zeichen im »einsamen Seelenleben« extrapoliert, weil Äußerungen »in kommunikativer Funktion« mit anderen Funktionen (etwa der »Kundgabe« von Befindlichkeiten des Sprechers, also mit Anzeichen) amalgamiert sind. Statt dessen setzte er jetzt mit der Analyse daran an, daß sich Sprache in der Praxis mit anderen konstituiert, also gerade auch in der Form mitmenschlich bestimmt ist. Daher sind auch die Kategorien der »reinen Grammatik« Formen der Auslegung praktischer sozialer Er­fahrungen, die es in ihrer gesellschaftlich-kulturellen Be­stimmtheit zu fassen gilt - im Gegensatz zum reinen Ich bzw. zur »Gemeinschaft der reinen Personen«, die er als transzendentale Bezugsgrößen seiner frühen Reflektion angesetzt hatte. Ausgangspunkt einer reicheren Sprachreflexion wird vielmehr das "transzendentale Wir".[38] Sprachliche Zeichen verweisen notwendig auf den kommunikativen Umgang mit ihnen: die Gewißheit ihrer Bedeutung resultiert bei ihnen aus der Erfahrung, daß diese auch für andere Geltung hat - und erst damit auch für mich; sprachliche Zeichen sind also intersubjektiv konstituiert, was in H.s frühen Untersuchungen nur bei für ihn eher marginalen Erscheinungen im Blick war.[39]

Die bei der Analyse extrapolierbare Bedeutung muß über eine Reduktion aus der Analyse des Sinnes von Äußerungen gewonnen werden, deren Ort die lebensweltliche Sprachpraxis ist:[40] angesprochen auch als „natürliche Welt“ bzw. „unser aller Welt“, die Gegenstand der „Besinnung“ ist (s. FN 15 zum Terminus). Auch die „Besinnung“ ist an Formen gebunden, die Geltung im zwischenmenschlichen Kommunikations- und Beziehungsfeld haben und damit eben sprachlich sind (explizit so S. 208-209). Über die Reduktion auf die propositional explizierbaren Strukturen müssen daher auch die Satzmodalitäten der Äußerung analysiert werden, die zu deren konstituierenden „Verleiblichung“ gehören (S. 20).

Damit zeigte H.s Unternehmen Entsprechungen zu anderen zeitgenössischen Versuchen, eine theoretische Grundlage für die Sprachforschung zu suchen, etwa in der Philosophischen Anthropologie (s. hier bei Pleßner). Für H. blieben diese Ansätze letztlich aber doch noch in dem von ihm "ausgeklammerten" phänomenalen Bereich i.S. des alltagssprachlichen Terminus haften, statt in seinem Sinne die Grundbegriffe in einer transzendentalen Reduktion von ihren noetischen Voraussetzungen her zu entwickeln.[41]

Eine zusammenhängende Darstellung de­r geforderten Revision seiner Sprachtheorie hat H. erst in der Zeit seiner rassistischen Verfolgung in Vorträgen in Prag[42] und in Paris gegeben - für die er offiziell keine Genehmigungen mehr erhielt. Die Pariser Vorträge (»Cartesianische Meditationen«) wurden zunächst nur in franzö­sischer Übersetzung veröffentlicht, dann in Überarbeitung aus dem Nachlaß in den Gesammelten Werken.[43] Die Prager Vorträge aus dem Jahr 1935 spiegeln seine Versuche zu einer großen zusammenhängenden Darstellung, die nur fragmentarisch als "Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie" publiziert worden sind, die ersten beiden Teile erschienen 1936.[44]

Dort gibt er am Beispiel der Grundstrukturen der Geometrie einen kompakten Aufriß seines Ansatzes.[45] Es geht darum, die Fundierung jeder Argumentation, ggf. auch einer axiomatisch entfalteten wie in der Mathematik / Geometrie, in der "mitmenschlich" artikulierten Alltagspraxis zu rekonstruieren. Die fundierenden konzeptuellen Strukturen sind aus der Perspektive einer formal ausgebauten Theorie zwangsläufig vage.  Aber diese Vagheit ist konstitutiv für ihre Leistungsfähigkeit in der Bewältigung der Alltagsanforderungen (sie gehört zur "mitmenschlich" bestimmten Praxis). Theoretisch entfaltete Begrifflichkeit resultiert aus der Bearbeitung der vagen Konzepte. Das wird verdeckt von der Praxis des wissenschaftlichen Geschäfts, wie ein Weberschiffchen zwischen so fundierten Konzepten hin- und her zu flitzen. Das phänomenologische Unternehmen muß dagegen deren Fundierung analytisch angehen - indem es notwendig kritisch an ihnen ansetzt und sie als "Sedimentierungen" der fundierenden Praxis ausweist.

Damit entwickelte H. Grundlagen einer systematisch angelegten Sprachtheorie. Sprachliche Äußerungen ("Sätze") haben Sinn in der Praxis, in der sie funktional verankert sind (H. sprach von ihrem "Wahrheitssinn", S. 376). Sie haben aber eine Form (zu der ihre Bedeutung gehört), die isolierbar und insofern wiederholbar ist; insofern ist sie auch unabhängig von ihrer "Verleiblichung" in der Äußerung zu fassen. Das setzt allerdings auch eine "Verführung durch Sprache" (S.372) frei, weil die Fundierung der Bedeutung nicht transparent ist. Sie muß vielmehr durch die phänomenologische Analyse herausgearbeitet werden, die die "ideale Gegenständlichkeit" sprachlicher Strukturen (S. 370) auf ihren Status als "virtuelle Mitteilungen" (S. 371) zurückführt. 

Ausgehend von solchen minutiös durchgespielten Analysen radikalisierte H. seinen wissenschaftstheoretischen Ansatz zu einer genuinen Kritik jeder Wissenschaft, die auf der „Unterschiebung (ihrer) Idealisierungen" für die „vorwissenschaftliche Anschauung" in der Lebenswelt beruht: wissenschaftliche Analyse, und dabei insbesondere auch formale Symbolisierungen, müssen als Methode (zu gr. hodos „Weg") verstanden werden, die zu einem analytisch geklärten Verständnis dessen führt, was lebensweltlich gegeben (und dort zumindest verankert) ist - sie darf nicht an dessen Stelle treten. Zur Lebenswelt gehört die (Alltags-) Sprache, in der sie artikuliert wird: deren Formen als Artikulation von Mitmenschlichkeit konstituiert sind. Die phänomenologische Reduktion soll deren notwendige Grundstrukturen herausarbeiten: die Formen, in denen sie kognitiv bearbeitbar ist, also ansetzend an deren Auslegung (nicht als ihre narrative Verdoppelung in einer empirischen Beschreibung).

Das war das Ziel schon der „Logischen Untersuchungen" gewesen, das er in diesem Horizont in den späteren Werken neu anging: in einem ersten Aufriß in „Formale und transzendentale Logik", systematisch ausgearbeitet dann in „Erfahrung und Urteil", das erst posthum als Ergebnis von H.s Zusammenarbeit mit Landgrebe veröffentlicht worden ist.[46] In diesem, von ihm selbst nicht mehr fertig redigierten Werk legte er einen systematischen Analyseansatz vor, der auch seine Analyse zur Lebenswelt mit einbezieht.

Aus sprachwissenschaftlicher Sicht hat H.s Projekt zwei Seiten: einerseits die Ausrichtung auf eine erkenntnistheoretische Fragestellung, die gewissermaßen orthogonal zur Disziplin ist; andererseits aber einen methodischen Zuschnitt, der deskriptiv zu sichernde Sachverhalte im Horizont einer idealen Struktur analysiert, die mit jeder sprachlichen Praxis virtuell gegeben ist. Dieser zweite Aspekt nahm in theoretisch geklärter Form das fachliche Selbstverständnis auf, mit dem die ältere Sprachforschung in ihrer Analyse auf das ausgerichtet war, was aus den betrachteten sprachlichen Ressourcen zu machen war - nicht nur, aber nicht zuletzt auch als Weiterführung der pädagogisch finalisierten Sprachreflexion, letztlich aber im Sinne des älteren philologisch definierten Selbstverständnisses.[47]  

Wie oben schon mit Verweis auf die Kritik von Marty an seiner frühen Darstellung angedeutet (s. Fn. 21) impliziert das eine Verschiebung der analytischen Matrix zu einem virtuellen, epistemologisch definierten Koordinatensystem, in dem mögliche Sprachstrukturen bestimmt werden. Modelliert wird so eine Sprachtheorie (als Metatheorie der Sprachforschung), nicht die Sprache. Aber diese Modellierung impliziert ein dynamisches Verständnis von Sprache, das auf den Ausbau der alltagspraktisch angeeigneten Strukturen ausgerichtet ist, nicht auf deren deskriptive Reproduktion. Darin liegen die Schwierigkeiten, den H.schen Ansatz sprachwissenschaftlich fruchtbar zu machen, wie es bei den zeitgenössischen systematisch intendierten Ansätzen besonders da deutlich wurde, wo diese sich um eine empirische Verankerung in der Analyse von Äußerungen bemühte, die auf die Besonderheiten der von H. gerade "eingeklammerten" Mitteilungsaspekte zielten, indem z.B. in der Prosodie die Kriterien für die Analyse gesucht wurden, statt in semantisch fundierten Strukturen.[48] 

H.s phänomenologisches Unternehmen mußte notwendig seinen Ausgangspunkt bei dem Wissen nehmen, das als Begleiterscheinung der „mundanen" Praxis produziert wird. Dieses lebensweltlich verankerte Wissen bildet das „Substrat" für jede kognitive Aktivität, die H. entsprechend in einem Stufenmodell modellierte. Das fraglos gegebene Alltagswissen ist „passiv": es muß kognitiv (also „aktiv") bearbeitet werden, um sich seiner zu vergewissern – im Sinne einer Besinnung (mit dem Schlüsselbegriff Sinn, der terminologisch mit der Intention in H.s Begriffssystem grundlegend ist, s.o.).

Das geschieht notwendig in sprachlichen Formen, die daher systematisch in Hinblick auf die damit möglichen kognitiven Leistungen analysiert werden müssen. Die phänomenologische Reduktion (s.o.) soll die Strukturen isolieren, die kognitiv notwendig sind - gegenüber den unvermeidlich in den Blick genommenen kontingenten Formen auch der analysierten Beispiele: mit diesen (bei H. Formen der deutschen Sprache) wird zunächst einmal die Zugehörigkeit zu einer „Sprachgemeinschaft" praktiziert, wie H. es mehrfach herausstellt (z.B. in "Erfahrung und Urteil" S. 58 oder S. 227). Auch wenn H. dabei durchaus typologische Fragen anspricht,  wenn er z.B. die verhandelten prädikativen Strukturen mit einer verbalen Kopula explizit als typologische Besonderheit problematisiert (s. dort S. 254), ist offensichtlich, daß seine Analysen an der Schulgrammatik (letztlich der lateinisch-griechischen Grammatiktradition) verhaftet bleiben.[49]   

Den begrifflichen Rahmen bildete für H. sein Stufenmodell, in dem im „vorprädikativen" Umgang mit den alltäglichen Erfahrungen „pragmatische" Kategorisierungen geschaffen sind, die auf höheren Stufen weiter entfaltet werden (s.o. zur Fundierung). Dazu gehört insbesondere die spontane alltagspraktische Typisierung des Erfahrenen, die Voraussetzung für jede Art von Wiederholung, Erwartung u. dgl. ist. Ihr entspricht die sprachliche Artikulation dieser Typen mit Prädikaten (also lexikalischen Einheiten). Auch diese sprachlichen Formen bleiben im so gefaßten Erfahrenen (ggf. auch als Ausdruck von Erlebtem) in diesem (in der Dauer des Erlebens) verankert. Aber die sprachliche Form ermöglicht reflexive Akte, die sich aus dieser Bindung an das Erleben lösen.

In der neueren Sprachwissenschaft wird H.s Werk (anders als vor dem Zweiten Weltkrieg) weitgehend ignoriert bzw. als philosophisch unzugänglich abgetan. Dabei kann es dazu dienen, aus theoretischen Sackgassen herauszuführen. [50] Zwei argumentative Linien sind herauszustellen:

  • die kognitive Fundierung der analytischen Kategorien, mit der zugleich auch die Besonderheiten der empirisch faßbaren Sprachstrukturen bestimmbar werden, die sich den lebensweltlich unterschiedlichen Bedingungen verdanken, unter denen Sprachen gelernt und praktiziert werden;
  • die letztlich anthropologische Ausrichtung, die Sprache als Ausbau der biologischen Ressourcen versteht, mit der die lebensweltlich bestimmten Erfahrungen bearbeitet werden (statt die Sprachreflexion regressiv auf die biologisch gesetzten Ressourcen auszurichten).

Grundlegend ist dabei die Klärung dessen, was unter sprachlicher Form zu verstehen ist. Die sprachliche Form ist gegenüber dem damit Gefaßten (dem Erlebten ...) leer – aber dabei ist sie bestimmt, definiert durch die Differenz zu den anderen Formen im sprachlichen Feld. Für den Mathematiker H. sind sprachliche Formen Variablen – bei ihm so in der Kontinuität seiner frühen Arbeiten, wo er schon in seiner Dissertation (1882, s.o.) die Form mathematischer Argumentation bei Differenzialgleichungen im Verhältnis von „leerer Form" (Variablen) und ihrer Füllung analysiert hatte.

Beim Aufbau seiner Argumentation unterscheidet H. zwei Ebenen:

  • die passive Ebene der sinnlich zustande kommenden Erfahrung, beruhend auf körperlichen Zuständen. „Intelligibel“ werden diese als Erfahrungen, wenn sie im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, die in den kontinuierlichen Fluß ein Jetzt setzt, das sie auch zu spezifisch subjektiven macht,
  • die aktive Ebene der kognitiven Bearbeitung der Erfahrung, die dabei immer als Substrat erhalten bleibt.[51]

Als Substrat von Äußerungen sind Erfahrungen definiert als kognitiv bestimmbar: dadurch wird ein unbegrenzter Raum freigesetzt, in dem sie kognitiv „entfaltet“ werden können (lat. explicare). Die Sprache liefert die Ressourcen dafür: sie ermöglicht die (kognitive) Explikation von Erfahrungen. Die Grundstrukturen dieser kogntiven Leistung hatte H. in den „Cartesianischen Meditationen“ entwickelt (s. Fn. 43). Konstitutiv ist das, was er dort „Paarung“ nennt: die Verknüpfung von zwei Gegebenheiten, die nicht notwendig auf der gleichen kognitiven Ebene geben sind (dort S. 138-149). Sind sie es nicht, handelt es sich um Appräsentation, bei der mit dem sinnlich-anschaulich Präsenten etwas Anderes „mit da“ ist (S. 139), wie es aber allen idealisierenden Operationen zugrundeliegt, mit denen Erfahrungen (Empfindungen) typisiert werden – damit als Voraussetzung für ihre sprachliche Fassung, die sich intersubjektiv bewährt. Damit führte H. seine Klärung des Zeichenbegriffs weiter, den er in den »Logischen Untersuchungen« durch die Abgrenzung von Anzeichen definierte, die durch eine „Parung“ mit ebenfalls anschaulich gegebenem Anderen gedeutet werden, die nicht wie Zeichen aufgrund ihrer Form eine Bedeutung haben (s. dort in Teil II/1, Kap. 1: 23-121).[52]

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts  bildete H. den Bezugspunkt für alle damaligen Versuche, Sprachreflektion theoretisch systematisch zu fassen – mit einer Frontstellung gegenüber der im Fach nicht nur damals dominierenden Ausrichtung an der Analyse von Äußerungen, die auf ihre (phonetische) Materialität zielt. Bei ihm fand sich so eine stringente Explikation des für den Strukturalismus konstitutiven Systemgedankens, indem er sprachliche Formen als wechselseitig abhängig bestimmt, zugleich mit ihren hierarchischen Ordnungsrelationen (die er als ihre Fundierung bezeichnet, s. o.). Letztlich  entwickelte er damit theoretisch das, was inzwischen mit dem Saussure-Meilletschen Diktum vom »système où tout se tient« zum Topos geworden ist.

Bei der Sprachanalyse sind die konzeptuellen Formen, die im Wortschatz gefaßt werden, von den grammatischen Strukturen zu unterscheiden, die die Artikulation von Gedanken in Äußerungen / Sätzen erlauben. Die Nutzung dieser Ressourcen ist in der letztlich sinnlichen Erfahrung fundiert: die Fokussierung durch die Aufmerksamkeit konstituiert das Thema der Äußerungen; die Konzepte resultieren aus der Typisierung der Wahrnehmungen / Erfahrungen, die auf der kognitiven Ebene zu Klassenbildungen führt, fundiert in wahrgenommenen Ähnlichkeiten. Dabei ist der analytische Ansatz funktional: sprachliche Strukturen sind Ressourcen der kognitiven Bearbeitung von Erfahrungen; sie sind kognitive Ressourcen.

Beim Aufbau der Theorie unterschied H. zwei kognitive und damit sprachliche Horizonte:

  • die kognitive Aktivität, fundiert in dem subjektiven cogitō (H. greift immer auf diese Grundfigur des Descartes zurück): Bedeutung haben sprachliche Elemente im vollen Sinne nur in solchen Akten, in der Artikulation von Gedanken – formal also in Äußerungen, für die Sätze die Normalform bilden;
  • die dem Subjekt vorgegebene, von ihm ontogenetisch auch erst anzueignenden sprachlichen Ressourcen. Diese sind an ein „transzendentales Wir“ gebunden: „Verstehen“ ist nur in diesen vorgegebenen (d.h. zu lernenden) Formen möglich – auch das Subjekt (das Ich des cogitō) versteht sich nur in solchen „objektiven“ Formen, die definitionsgemäß immer auch die der anderen sind.[53]

Die Differenzierung dieser Horizonte erfordert eine begriffliche Unterscheidung:

  • mit noetischen Kategorien, die mit den kognitiven (also auch sprachlichen) Aktivitäten notwendig verbunden sind – insofern auch für alle Sprachen konstitutiv sind;
  • gegenüber den empirischen kategorialen Formen, die in den verschiedenen Sprachgemeinschaften (also idiosynkratisch) gelernt werden, um die noetischen kategorialen Formen auszudrücken.

Die unzureichende Unterscheidung dieser Horizonte führt in der neueren sprachwissenschaftlichen (bes. auch typologischen) Diskussion zu erheblichen Konfusionen, bes. so bei der Universaliendebatte. In diesem Sinne werden Aussagen auf der noetischen Ebene notwendig mit einem Thema verankert, das auf der syntaktischen Ebene traditionell als (> noetisches) Subjekt eines Satzes gefaßt wird. Das ist zu unterscheiden davon, was in den Einzelsprachen als (> grammatisches) Subjekt „grammatikalisiert“ ist. In einigen Sprachen, wie z.B. im Deutschen ist das (> grammatische) Subjekt gefordert für einen „wohlgeformten“ Aussagesatz: daher haben wir hier auch semantisch leere („expletive“) Subjekte wie z.B. in es regnet; andere Sprachen kennen eine solche Wohlgeformtheitsbedingung nicht, vgl. z.B. (gleichbedeutend) latein. pluit.[54] Das Problem wird durch die übliche terminologische Nichtunterscheidung der Ebenen verschärft. H. spricht bei den noetischen Kategorien von logischen Formen gegenüber den grammatischen Formen – was nur im Kontext seiner Überlegungen Sinn macht.

In seiner Analyse trennt H. die systematische Explikation sprachlicher Strukturen als idealen Größen von einer genetischen Betrachtung, die letztlich auf die Frage antwortet, wie Sprache in die Welt kommt. Grundlegend ist die Thematisierung von Erfahrenem. Für deren (sprachliche) Artikulation geht H. von Stufen aus, in deren niedrigeren jeweils die höheren fundieren:

  • im elementarsten, undifferenzierten Fall mit einem deiktischen Demonstrativ, das nur „okkasionell" eine „erfüllte" Bedeutung erhält (das da),
  • deskriptiv angereichert mit Prädikaten, die die Typisierung der Erfahrungen explizieren (dieser Baum),
  • bis hin zu syntaktischen Prädikationen, die nicht nur als selbständiges „Urteil" artikulierbar sind (das da ist ein Baum), sondern auch als sekundäre Prädikationen, die in einem Urteil zur Differenzierung genutzt werden (eine Pflanze, die ein Baum ist, braucht viel Wasser).

In diesem Rahmen korrelierte  H. mit der syntaktischen Formanalyse eine Theorie grammati­scher Bedeutungen, die eine komponentielle Analyse der Satzbedeu­tungen ermöglicht, formal entsprechend dem, was später als syntaktische Konstituentenanalyse fest wurde, aber bei H. eben gebunden an (bzw. als formales Gegenstück zu) eine(r) semantischen Analyse. Dabei entwickelt er das Konzept einer Grammatiktheorie als Replik auf das Theorieverständnis der Mathematik (analog zu Frege, und wie bei diesem mit der Arithmetik als Modell). Eine formale Grammatik operiert deduktiv: sie beweist aus ihren Grundannahmen, daß die möglichen Sätze (im Gegensatz zu unsinnigen Ausdrücken) Sätze sind (sie sind "deduktive Folgen des zu der primitiven Form gehörigen Satzes", Log. Unters. II/1: 332). Grundterme in seiner "reinen Grammatik" als Ableitungssystem sind Satz (als Formkorrelat zu Äußerungen) und Eigenname.[55] Alle anderen Formkategorien werden als Funktionen rekonstruiert, die Eigennamen in Sätze abbilden: ein intransitives Verb bildet ein Nominal (als Subjekt) in einen Satz ab; ein transitives Verb bildet zwei Nominale (Subjekt und direktes Objekt) in einen Satz ab; speziellere Kategorien werden durch entsprechend komplexe Funktionen ausgedrückt: Artikel bilden Nominale in Nominale ab, (VP-)Adverbien Verbale in Verbale u. dgl.[56]

In diesem Sinne entwickelte H. ein systematisches Theoriegebäude, das sich wohltuend klar vor dem Hintergrund der nicht nur damals verbreiteten Konfusionen im begrifflichen Feld von Sprache und Denken unterscheidet: die Grundkategorie ist die Noesis (die Kognition), und entsprechend sind auch für die Analyse von Sprachstrukturen deren noetische Funktion von ihrer (sprachspezifischen) Form zu unterscheiden.[57] Grundsätzlich sind dabei prozessual zu fassende Aspekte des Kognitiven, darunter auch resultative Momente, von strukturalen zu trennen, die ggf. nur durch den Abgleich verschiedener Prozesse und ihrer Resultate ermittelt werden können (terminologisch bei H.: noematisch).

Angelegt ist dieses theoretische Unternehmen schon in seinem "Ideen“-Werk, mit dessen Veröffentlichung er 1913 begann, dem er dann mit „Formale und transzendentale Logik" (1929) eine neue Wendung gab. Aber auch dabei stand noch die Abgrenzung einer logischen von einer sprachanalytischen Modellierung im Vordergrund. Einen gewissen Abschluß und neue Ausrichtung fand es in dem nur posthum veröffentlichten Werk „Erfahrung und Urteil" (s. Fn. 45). Dort entwickelte er eine ausdifferenzierte Grammatiktheorie: mit dem Grundgerüst der Prädikation und auf diese ausgerichteten grammatischen (syntaktischen) Typen: die Nominalität (Substantivität) als Gegenstück zur Thematisierung, und so in der einfachsten Form einer Proposition als Formkategorie des Subjekts der Prädikation, aber auch als prädikative Bestimmung (wie in das da ist ein Baum), die H. in der Fortschreibung der damals üblichen Begrifflichkeit als Adjektivität bezeichnet (s. dazu w.u.). Komplikationen ergeben sich durch den weiteren Ausbau: im syntaktischen Prädikat können auch substantivische Ausdrücke mit eigener Referenz genutzt werden: in einer identifizierenden Prädikation, vor allem aber auch in transitiven Prädikationen, elementar so in haben-Konstruktionen (§ 52, S. 262).

In seiner Argumentation machte H. immer sehr deutlich, daß es sich hier um noetische Kategorien handelt – nicht um Wortarten im deskriptiven Sinne einzelsprachlicher Grammatiken. Es handelt sich um die Grundlagen einer Syntax, für die das Konzept von Variablen definierend ist: ausgehend von der einfachsten Konstruktion einer Prädikation bis zu komplexen (hypotaktisch ausgebauten) Konstruktionen (ausführlich diskutiert er z.B. Relativkonstruktionen). Der thematisierende Akt sichert die syntaktische Einheit des in diesen Konstruktionen Ausgebauten – mit dem spiegelverkehrten Grenzwert der Nominalisierung einer Prädikation, die sie als syntaktische Konstituente verfügbar macht.[58] Die Formanalyse lotet die syntaktischen Bindungspotentiale der Formen aus, z.B. bei Adjektiven die transitiven Konstruktionen bei komparativen Bildungen (S. 265f.).

Auf der genetischen Seite nimmt H. Grammatikalisierungen in den Blick, z.B. die Herausbildung von Funktionselementen für den Ausbau komplexer Strukturen (Ana- und Kataphorik) aus anschaulichen Deiktika (S. 283). Zur Syntax gehört für H. aber auch das, was er die „Modalisierung" von Aussagen nennt, entsprechend den epistemischen Abstufungen der Gewißheit (in der Bandbreite von möglich bis notwendig, wie sie in der Modallogik verhandelt wird). Dazu gehören auch die Negation, die in diesem Sinne syntaktisch für H keine Grundstruktur darstellt (S. 352 f.), vor allem aber auch spezifische Akttypen wie die Frage, die so von ihrer kommunikativen Nutzung zu unterscheiden ist (S. 371).  

Die noetische Grundstruktur ist die Prädikation: mit ihr wird ein Thema als weiter zu bestimmen gesetzt (etwas wird von ihm prädiziert). Darin liegt eine grundlegende aktive Leistung (s.o. zu aktiv / passiv in der Kognition): die Thematisierung von Erfahrung wird als Thema gefaßt und so in ihrer Struktur expliziert. Dem entspricht eine funktionale Typisierung der sprachlichen Formen, bezogen auf die beiden Grundfunktionen einer (einfachen) Prädikation:

  • Ausdrücke, die als Form ihre Bestimmbarkeit symbolisieren, repräsentieren noetisch die Substantivität,
  • Ausdrücke, die als Form ihre bestimmende Funktion symbolisieren, repräsentieren noetisch die Adjektivität.
H. benutzte hier Kunsttermini, die zwar mnemotechnisch an die einzelsprachlichen Wortarten Substantiv und Adjektiv anknüpfen, mit denen sie aber nicht verwechselt werden dürfen, wie er selbst immer wieder hervorhob. Als noetische Kategorien sind sie Formen, d.h. formale Bedingungen, die die einzelsprachlich besonderen grammatischen Kategorien erst möglich machen (die gewissermaßen die noetischen Kategorien „füllen“). Als noetische Kategorien sind sie auf den Bau eines Urteils ausgerichtet, das sprachspezifisch in der syntaktischen Form eines (Aussage-) Satzes artikuliert wird. In diesem Sinne zielt z.B. Adjektivität auf den deskriptiven Inhalt eines Terms, der einem anderen zugeschrieben wird. In Sprachen wie Deutsch gibt es eine entsprechende Wortart, vgl. der Baum ist grün. Das ist nicht in allen Sprachen der Welt der Fall: in vielen erfolgt das in anderen Formen (z.B. in verbalen).

Diese Begrifflichkeit war in der älteren theoretischen Grammatikreflexion fest, die im 18. Jhd. auch schon eine kanonische Form erhalten hatte. Die Wortarten wurden dabei durch die Funktion der Worte im Satz bestimmt (in der Grammatik geht es demnach nicht um Wörter, wie sie im Lexikon stehen, die Ergebnis einer Hypostasierung von Formelementen sind). Die Grundstruktur ist die Prädikation, bei der das Subjekt die Ankerfunktion für die Aussage hat, dem die Substantivität korreliert. Diese kann auch semantisch leer artikuliert sein wie bei pronominalen Formen (deiktisch wie in dieses, das da …, im Grenzfall [den auch Husserl herausstellte] mit unbestimmten Pronomina wie etwas). Im Urteil / Satz wird das Subjekt semantisch bestimmt: durch ein Attribut (z.B. dieses ist grün).[59]

Probleme bei der sprachwissenschaftlichen Umsetzung dieser grammatiktheoretischen Konzeption entstanden, wenn deren begriffliche Deduktion zur „Ableitung“ der deskriptiven Kategorien in den einzelsprachlichen Grammatiken (vor allem Griechisch und Latein, aber dann auch Deutsch oder Französisch) weitergeführt wurde. Daraus resultierte in den einschlägigen Arbeiten ein gordischer Knoten, den H. durchtrennte, indem er das begriffliche (> metasprachliche) System als noetische Strukturen, die aus Denknotwendigkeiten für die der Darstellung von Sachverhalten resultieren, von deren empirischer Artikulation in einzelsprachspezifischen Strukturen unterschied, die er gewissermaßen als kontingente Ausfüllung der Formen einer „reinen Grammatik“ verstand. Die einzelsprachspezifischen Grammatiksysteme sind durch eine Fülle von nur empirisch aufzuhellenden Faktoren bestimmt: kulturelle Horizonte, die bestimmte Artikulationsformen als relevant setzten, andere dagegen nicht; Faktoren des Sprachwandels, der formale Strukturen historisch verschleißt, andererseits immer die Harmonisierung unterschiedlicher struktureller Ausformungen in einem einzelsprachlichen System erzwingt u. dgl. mehr.[60] Insofern konkurrieren die abstrakten Strukturen bei H. nicht mit den empirischen Extrapolationen von Grammatiksystemen aus den beobachtbaren Sprachverhältnissen: sie explizieren vielmehr die kognitiven Bedingungen, unter denen diese möglich werden (das ist ja der Sinn der Rede von transzendental: also dem Ausklammern der empirischen Kontingenz).[61]

H. konstruierte auf diese Weise eine grammatische Theorie mit den noetischen Strukturen als Basis. Die Architektur der Theorie ist (funktional) abgestellt auf das Kontinuum der unterschiedlichen Anforderungen an die sprachlichen Strukturen – mit einer elementaren Stufe, bei der die Formen direkt die noetischen Grundstrukturen spiegeln (H. spricht dann von „Kernformen“), und dann wachsenden Komplikationen, die die Grundstruktur immer weiter anreichern auf der Grundlage entsprechend differenzierter grammatischer Formen. Damit wird es möglich, komplexe Sachverhalte nicht nur als Reihung einfacher Prädikationen zu artikulieren, sondern ihre strukturelle Durchdringung durch die Verdichtung prädikativer Strukturen zu ermöglichen: mit einer fortlaufenden strukturellen Anreicherung im syntaktischen Bau.

Als System hatte H. das schon in den „Logischen Untersuchungen“ entworfen, dort mit der „Idee der reinen Grammatik“ (Bd. II, Abschnitt IV), die dann von Ajdukiewics als Kategorialgrammatik formalisiert wurde. In seinen folgenden Werken hat H. diesen Ansatz immer wieder bearbeitet und dann schließlich in „Erfahrung und Urteil“ (1939) sehr systematisch entwickelt. Die Grundstrukturen entwickelte er dort im II. Abschnitt „Das prädikative Denken und die Verstandesgegenständlichkeiten“. Im ersten Kapitel dort den Ausbau der Proposition durch den Ausbau ihrer Konstituenten – H. spricht von ihrer „Modifikation“:

  • die Anreicherung des Subjekts durch Attribute, also durch deren Adjektivität, die ggf. auch selbst propositional artikuliert sein kann (als „Relativsatz“);
  • transitive Erweiterungen der Adjektivität (> komparative Konstruktionen);
  • der Ausbau des Prädikats mit eigenen thematischen Elementen, die in ihrer Substantivität eben auch weitere eigene Bestimmungen erlauben, angefangen bei dem Muster des „Haben-Urteils“;
  • auch referenzielle Prädikate, bei denen die Bestimmung des Subjekts durch die Identifizierung mit einem zweiten Thema erfolgt;
  • angelegt ist hier auch schon der Ausbau zu komplexen Sätzen durch den Ausbau von anderen Konstituenten (von H. nicht weiter im einzelnen entwickelt: Komplementsätze, Adverbialsätze …).

Eine enorme Steigerung der Potentiale der grammatischen Ressourcen liegt in der Verdichtung durch komplexe Wortbildungen, insbesondere Nominalisierungen, mit denen Propositionen zum Thema gemacht werden – ganz offensichtlich die Voraussetzung für jede Art von wissenschaftlicher Argumentation (Kap. II des Abschnitts II in „Erfahrung und Urteil“); auch hier wieder auf der empirischen Ebene in den Einzelsprachen recht unterschiedlich entfaltet, wobei die noetische Ressource aber auch sehr unterschiedlich weit in den verschiedenen Gesellschaftsformen gefordert ist. In vielen Sprachen ist die Nominalisierung von Propositionen mit einfachen Partikeln möglich, so bes. in Sprachen mit Artikelsystemen wie Altgriechisch oder auch im neueren Deutsch (dort orthographisch differenziert als <daß> gegenüber <das>); besonders so aber auch in der weiteren Verdichtung in der Wortbildung: substantivische Abstrakta wie im Dt. mit dem Suffix –ung, Kompositabildungen – alles Ressourcen, die in vielen Sprachen nicht ausgebildet sind, bei denen die Sprecher ggf. in meist mehrsprachigen Verhältnissen dergleichen nicht in ihrer Erst- bzw. Familiensprache artikulieren können.

In der Sprachwissenschaft ist H.s spätes Werk mit der systematischen Revision einer intersubjektiven Fundierung vor allem von Bühler in seiner »Sprachtheorie« (1934) aufgenommen worden. Ansonsten hat es in jüngeren Arbeiten nur wenig Spuren hinterlassen, wenn man nach expliziten Hinweisen sucht. Seine Wirkung ist wie angedeutet eher in den argumentativen Prämissen neuerer Arbeiten nachzuvollziehen.[62] Direkt aufgenommen wurde es da, wo explizit eine Verankerung der theoretischen Begründung in der älteren sprachtheoretischen Diskussion gesucht wurde wie z.B. bei dem Kölner Universalien-Projekt von H.J. Seiler u.a.[63] oder bei dem theoretisch ambitionierten Ansatz von Klaus Heger (1927 - 1993) in Heidelberg.[64] Bei explizit formal-theoretisch orientierten Darstellungen war der Hinweis auf H nicht zu vermeiden.[65]

Einflußreich wurde H.s späterer Ansatz für die mikrosoziologische Ausrichtung der jüngeren So­ziolinguistik. Die Vermittlung leistete Alfred Schütz (1899-1959), der H.s wichtigster soziologi­scher Schüler war, der nach seiner Emigration 1939 in die USA dort eine phänomenologisch orientierte Sozialforschung begrün­dete, die als Ethnomethodologie (mit prominenten Vertretern in Garfinkel, Cicourel u.a.) auch für die Sprachwissenschaft wichtig wurde (s. bei Gumperz). Die zuletzt ausdrücklich kritische Weiterführung  von H.s Ansatz bei Schütz bietet im übrigen das beste Verbindungsstück zu einer sprachwissenschaftlich enger geführten Forschung. Ein weiterer Wirkungsstrang lief in der Kognitionswissenschaft über einen anderen Schüler von H., Aron Gurwitsch (1901-1973), s. hier bei Goldstein.

Eine sprachphilosophische Fortführung hat H.s Werk in Frankreich bei Merleau-Ponty erfahren, der einen naiven Rückgang auf »kommunikative« Grundkonzepte (das wechselseitige »Verstehen«) als theoretische Sackgasse aufzeigte und demgegenüber die konstitutive Rolle der sprachlichen Form herausstellte, die als das genuin Sprachliche die Artikulation von Neuem ermöglicht (statt der kommunikativen Reproduktion von Vertrautem); vor allem aber ermöglicht für ihn nur die sprachliche Form im Sinne von H., aus dem solipsistischen Zirkel des Erlebens herauszuspringen, weil mit ihr das Erlebte für andere zugänglich wird (und damit auch für mich selbst).[66]

Von einer breiteren Wirkung des H.schen Werks kann in der neueren Sprachwissenschaft nicht die Rede sein. Insofern hat es etwas Paradoxes, daß aus der umgekehrten Blickrichtung in jüngster Zeit in der philosophischen Phänomenologie-Diskussion grammatiktheoretische Fragen systematischer betrachtet werden (allerdings ausgerichtet auf die frühen "Logischen Untersuchungen").[67] 

Q: DBE 2005. Ein nützlicher Überblick über die weit gestreuten Arbeiten zu H. findet sich bei B. Sandmeyer, »The Husserl page«, http://www.husserlpage.com/ (Jan. 2009). Ich beschränke mich hier auf einige Hinweise zur Husserl-Rezeption in der Sprachforschung; über direkte personale Verbindungen infor­miert K. Schu­mann, »Husserl-Chronik«.[68] Über die Kontakte zu Jakobson und dessen Rezeption (und darüber vermit­telt die Nach­wirkungen in der Strukturalismus-Debatte) s. bes. E. Holenstein, »Roman Jakobson« (1975), sowie die dort aufgeführte wei­tere Litera­tur (insbesondere die materialreichen älteren Arbeiten Holensteins). Zum Verhältnis zu Frege s. D. Föllesdal, »Husserl und Frege«, Oslo: Aschehoug (Norske Videnskaps Akad., Hist.-fil. Kl., Jg. 1958, H. 2). Außerdem noch H. Aschenberg, »Phänomenologische Philosophie und Sprache. Grundzüge der Sprachtheorie von Husserl, Pos und Merleau-Ponty«, Tübingen: Narr 1978. Für kritische Hinweise danke ich S. Rinofner-Kreidl (Graz).

 

 

[1] Karl Theodor Weierstrass (1815-1897) war einer der Begründer der modernen Mathematik (Algebra).

[2] Die handschriftliche Dissertation ist inzwischen elektronisch zugänglich: https://fedora.phaidra.univie.ac.at/fedora/get/o:58535/bdef:Asset/view

[3] Franz Brentano (1838-1917) steht für die sprachtheoretische Wende der neueren Aristoteles-Rezeption, z.B. »Von der mannigfachen Bedeutung des Seienden nach Aristoteles«, Freiburg i.Br. 1862 (Repr. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1960).

[4] Über den Begriff der Zahl. Psychologische Analysen. Halle: Heynemann 1887 - als Band 1 angekündigt, aber Band 2 ist nie erschienen.

[5] David Hilbert (1862-1943). Mathematiker, der entscheidend dazu beigetragen hat, daß formale Theoriebildung als axiomatisiert verstanden wird. Seit 1895 Professor in Göttingen, wo er den Ausbau der (theoretischen) Physik vorantrieb.

[6] Am nächsten Tag schrieb Heideggers Frau auch im Namen ihres Mannes einen Brief an Frau H. (zusammen mit einem Blumenstrauß), der "in diesen schweren Wochen" H. nochmal ihre Dankbarkeit ausdrücken sollte. Frau Husserl antworte, daß die Beziehungen zwischen den Familien abgebrochen seien (der Brief ist abgedruckt in M. Heidegger, Gesamtausgabe, Bd. 16, Frankfurt: Klostermann 2000: 87-88, Erläuterungen dort S. 787).

[7] Halle: Pfeffer 1891.

[8] Im Vorwort verweist er auf einen Abschnitt  "Logik der symbolischen Methode (Semiotik)" im geplanten zweiten Band.

[9] Dieser Punkt bildete den Ausgang für die späteren Auseinandersetzungen um die Grundlagen der Mathematik, s. bei Wittgenstein.

[10] Gottlob Frege (1848-1925) gilt als der Begründer der mathematischen Logik. F. lehrte in Jena. Zu den vielen problematischen Seiten seiner Person gehörte auch ein radikaler Antisemitismus.

[11] In seiner Besprechung in der Zt. f. Philosophie u. philosoph. Kritik 1894, zugänglich in seinen "Kleinen Schriften" (hg. von I Angelelli), Hildesheim: Olms 1967: 179-192. Bei allen auch von Frage durchaus vermerkten Übereinstimmungen schreibt er: "Mein so grundverschiedener Standpunkt macht es mit schwer, seinen (d.h. H.s, UM) Verdiensten gerecht zu werden, die ich auf dem Gebiete der Psychologie vermute" (S. 192). Freges autoritativer Status in der späteren Logik bzw. formalen Philosophie hat denn auch dazu geführt, daß dort H.s Arbeiten zumeist nicht als einschlägig betrachtet wurden (werden).

[12] S. Ash (1995) für eine sehr detailliere Rekonstruktion dieser Diskussionszusammenhänge. S. auch bei Gelb.

[13] In der Werkausgabe der „Husserliana", hg. von W. Biemel, Den Haag: Nijhoff 2. Auflage 1976. Der oft benutzte Nachdruck in der "Philosophischen Bibliothek" (Hamburg: Meiner 2012) enthält die Beilagen nicht, auf die unten zurückgegriffen wird..

[14] Föllesdal (Q) hat Freges Einfluß auf H. rekonstruiert. Wieweit die Kontroversen mit Frege auch einen rassistischen Unterton hatten (s. FN 10) müßte noch genauer untersucht werden.

[15] Gegenüber der sonstigen Verwendung dieses Terminus erhielt dieser hier eine eigene Akzentuierung, die aber nicht verdecken sollte, daß damit ein Grundkonzept der traditionellen Sprachreflexion weitergeführt wird, das auch mit dem dt. Wort Sinn / sinnen artikuliert wurde (z.B. bei Herder und in seiner Nachfolge), ausgehend von der etymologischen Grundbedeutung bei Sinn „Weg“, sinnen also „eine Richtung einschlagen, zu etwas hinstreben“. H. operiert mit diesem traditionellen Begriff der Intention, der in der älteren Philosophie die Gerichtetheit jedes Erkenntnisaktes bezeichnet - also von dem heute üblichen Begriff der Intention im Sinne von Absicht zu unterscheiden ist. Das (heute) naheliegende Mißverständnis war auch zeitgenössisch schon gängig: Brentano (s. FN 3), von dem H. diese Begrifflichkeit übernimmt, hat daher in seinen späteren Veröffentlichungen auf den Terminus verzichtet. Für eine systematische Analyse dieser theoretischen Konstruktion, s. z.B. D. Münch, »Intention und Zeichen«, Frankfurt: Suhrkamp 1993.

[16]Die komplexe Vorgeschichte dieses Artikels wird aus den Vorformen ersichtlich, die in Band 9 der Gesammelten Werke (»Husserliana«, s.u.) abgedruckt sind.

[17] E. Fink, Die phänomenologische Philosophie Edmund Husserls in der gegenwärtigen Kritik, in: Kant-Studien 38/ 1933: 321-383; auch separat Berlin: Pan 1934.

[18] Zum Terminologischen: H.s. Begrifflichkeit ist selbstverständlich im humanistischen Gymnasium verankert. Insofern operiert er terminologisch im Horizont der (alt-) griechischen Wortformen in der schulisch damals üblichen Transliteration: bei Idee bzw. Ideal also gr. eidos (εἶδος) und entsprechend dann bei seinem Terminus eidetisch für die Idealisierung.

[19] Noch seine letzten veröffentlichten Ausarbeitungen betitelte er: „Cartesische Meditationen", s.u.

[20] Da die Rede von Phänomenologischem damals in den Geisteswissenschaften, insbesondere auch in der Psychologie, ohne klare begriffliche Konturen üblich war, insistierte er später auf der Bezeichnung "transzendentale Phänomenologie" für sein Unternehmen.

[21] So hatte vor allem Anton Marty (1847 - 1914; seit 1880 Prof. f. Philosophie an der Dt. U Prag) die Ambivalenz in seiner Begrifflichkeit kritisiert, bei der er das theoretische Konstrukt einer "reinen Grammatik" auch realistisch als "Gerüst" in allen empirischen Sprachen ansprach, das dort nur sprachspezifisch bekleidet würde. Demgegenüber stellte Marty den theoretischen Status dieser Reflexion heraus: als "Gerüst" allenfalls der Theorie, nicht aber der empirischen Sprachen (A. Marty, Untersuchungen zur Grundlegung der allgemeinen Grammatik und Sprachphilosophie, Halle /S.: Niemeyer 1908: 59 - 67; dort spricht er von dem "Idealbau menschlicher Sprache", an dem "das Gefüge der wirklichen Sprachen" zu messen ist, s. 59). H. behielt aber seiner Formulierung ausdrücklich gegen Marty bei, auch noch in der bearbeiteten 2. Auflage (1913 - so auch in allen folgenden Nachdrucken) hieß es bei ihm von der konstruierten "reinen Grammatik": "(sie) legt ein ideales Gerüst bloß, das jede faktische Sprache .... mit empirischem Material ausfüllt und umkleidet", Log. US II/1: 338.

[22] Bd. 1 (Halle/S.: Niemeyer 1990), der zweite Band erschien in zwei Teilen ebd. 1901; 5. Aufl. in drei Bänden Tübingen: Niemeyer 1968. Auf diese Ausgabe beziehen sich die Seitenhinweise im Folgenden.

[23] Explizit formulierte H. dort: "Wir wollen auf 'die Sachen selbst' zurückgehen" (Bd. II,1: 6). Bei den klassischen griechischen Autoren wurde der Ausdruck vor allem in der Naturphilosophie (der Astronomie u. dgl.) genutzt, einerseits im Sinne eines kritischen Umgangs mit den Sinnesdaten, andererseits aber auch in Abgrenzung von "sophistischen" Begriffsklaubereien. Aristoteles sprach in diesem Sinne auch von apodidonai ta phainomena [ἀποδιδόναι τὰ φαινόμενα], wörtlich paraphrasiert "den Phänomenen das zurückgeben, was ihnen gebührt".

[24] Für den entscheidenden Schritt benutzte H. den Terminus der Epoché, einen Terminus der griechischen Stoiker, mit dem sie ihre Zurückhaltung gegenüber der Geschäftigkeit des Alltagslebens ausdrückten. Nur aufgrund einer solchen Epoché ist eine genuine Erkenntnis auf dem Weg einer phänomenologischen Reduktion (s.u.) möglich, während die Reduktion auf andere Arten von Empfindungen, wie es bei der damaligen empirischen Psychologie versucht wurde, notwendig zirkulär bleiben muß.

[25] S. Schuchardts Rezension des »Cours«, in: Literaturblatt f. germ. u. rom. Ph. 38/1917: 1-9. Für diese Rezeption war vor allem auch Saussures Begrifflichkeit mit dem Gegensatz von synchron vs. diachron maßgeblich, die auf die eingefahrene Projektion des "synchron" Beobachtbaren auf einen "diachronen" Erklärungshorizont bezogen werden konnte, statt auf die strukturelle Systemanalyse, s. dazu jetzt Maas (2016).

[26] Vgl. „Cours“ (Paris: Payot 196, repr. 1965: 100): „premier principe: l’arbitraire du signe“.

[27] Vgl. die entsprechende Argumentation bei Chomskys »Syntactic structures« ('s-Gravenhage: Mouton 1957). Chomskys (frühes) generativistisches Forschungsprogramm läßt sich ohnehin als Umsetzung von H.s deduktiven Programm einer reinen Grammatik lesen.

[28] Walter Porzig, Aufgaben der indogermanischen Syntax, in: Stand und Aufgaben der Sprachwissenschaft. Festschrift f. W. Streitberg. Heidelberg: Winter 1924: 126 - 151.

[29] Dort war bereits 1909 der erste Teil der „Logische[n] Untersuchungen« ins Russische übersetzt worden (in russischer Transliteration erscheint der Name als Gusserl'). Schlüsselfigur in diesem Kreis war Gustav Špet (1879-1937), der 1913 auch bei H. in Göttingen studierte und nach der Rückkehr Seminare über eine phänomenologisch fundierte Sprachanalyse durchführte, s. dazu R. Jakobson, »Selected Writings«, Bd. II, Den Haag: Mouton: 711-722, besonders 713-714; A. Haardt, »Husserl in Rußland. Phänomenologie der Sprache und Kunst bei Gustav Špet und Aleksej Losev«, München: Fink 1993; M. Dennes, »L'influence de Husserl en Russie au debut de XXème siècle et son impact sur les émigrés russes de Prague«, in: Gadet/Sériot 1997: 47-68. Jakobson fand in H.s Phänomenologie den intellektuellen Rahmen, um schon in dem von ihm maßgeblich organisierten Moskauer Linguistenkreis die junggrammatischen Horizontbeschränkungen zu überwinden.

[30] Eine irritierende "Lücke" in dieser Rezeption findet sich bei der Kopen­hagener Glossematik. Louis Hjelmslev hat sich die oben schon angesprochene Kritik von Anton Marty an Unklarheiten in H.s frühem Versuch (s. FN 21) zueigen gemacht und spricht von diesem nur als einer "théorie étrange" (ds. "Príncipes de grammaire générale", Kopenhagen: Luno 1928: 40, Fn.2 [Kgl. Danske Vidensk. Selskab, Hist.-fil. Medd. XVI,1)]. Dabei kann man Hjelmslevs spätere systematische Darstellung in "Omkring sprogteoriens grundlæggelse" (Festskrift af Københavns universitet 1943 [Kopenhagen: Luno 1943: 1 - 113]) durchaus als explizite Paraphrase auf H.s Unternehmung lesen, s. besonders seine Bemerkungen zu dem "nominalistischen" und nicht "realistischen'" Ansatz, dort S. 98.

[31] Hg. von U. Panzer, 1987 ("Vorlesungen über Bedeutungslehre, Sommersemester 1908", Dordrecht: Nijhoff = Husserliana 26).

[32] So sind die Arbeiten der Mont­ague-Grammatik ebenso wie der Generalized Phrase Structure Grammar direkt auf H.s Konzepte zurückzufüh­ren. Allerdings wird in sprachwissenschaftlichen Veröffentlichungen zumeist nur auf Ajdukiewicz, nicht auf H. verwiesen; eine Ausnahme ist z.B. M. Brame, »Why fat cats don't exist«, in: ders. (Hg.), »A Festschrift for Sol Saporta«, Seattle: Noit Amrofer 1986: 21-41, S. 21 Anm.

[33] Halle/S.: Niemeyer 1913. H. arbeitete in den Folgejahren an einer Erweiterung mit zwei weiteren Bänden und auch an einer Revision des ersten Bandes, wozu er 1930 auch ein „Nachwort" publizierte. Außer in seiner Werkausgabe „Husserliana" sind die im Nachlaß vervollständigten „Ideen" zusammen mit diesem „Nachwort" zugänglich in der Ausgabe Hamburg: Meiner 2009.

[34] Beide sind erst posthum 1952 in den Husserliana veröffentlicht worden. In der einschlägigen Literatur wird das Werk mit seinen Teilen als „Ideen I, II, III“ angeführt.

[35] Schütz (s. bei diesem) berichtet aus Gesprächen mit H. in den 1930er Jahren, daß dieser ihm von diesen Schwierigkeiten gesprochen habe.

[36] Er spricht von seiner analytischen Arbeit gerne auch als “Hand anlegen”, vgl. im Vorwort zur Schrift von Fink (1933/34, s. Fn.17), S. 3.

[37] Halle: Niemeyer 1929, Neuflage Berlin: de Gruyter 1981.

[38] Den Terminus benutzt er z.B. in seinem „Nachwort" (1930) zu den „Ideen", s. in der in Anm. 3 angeführten Neuausgabe (2009): 153.

[39] Dazu gehören z.B. das, was er die „wesenhaft okkasionellen Bedeutungen" nannte, „Logische Untersuchungen", II/1, Teil I §26: alle Ausdrücke, deren Interpretation an den konkreten (situierten) Akt ihrer Äußerung gebunden ist. Jakobson sprach später von ihnen als „shifter(s)", denen er allerdings auch einen grundlegenden Platz in der Grammatiktheorie einräumte.

[40] Daran setzte Schütz an, der in der „Formale(n) und transzendentale(n) Logik" den Ansatzpunkt für sein Werk fand, angefangen bei seinem Buch (1932), s. bei ihm.

[41] So explizit in einem 1931 in Berlin gehaltenen Vortrag "Phänomenologie und Anthropologie", in: Philosophy and Phenomenological Research 11/ 1941: 1- 14.

[42] Beim Prager Linguistenkreis hielt er am 18.11.1935 einen entsprechenden Vortrag. Ausgangspunkt dafür war, daß in Prag sein früherer Assistent Landgrebe (1902 - 1991) in der Philosophie habilitiert hatte und Dozent war: dort war H. gleichzeitig auch zu einem Vortrag eingeladen. Auch Landgrebe war ein Opfer der rassistischen Verfolgung: er überlebte eine KZ-Internierung. Nach dem Krieg ließ er sich nach Hamburg umhabilitieren; 1947 erhielt er eine Stelle an der U Kiel, seit 1954 dann eine o. Professur an der U Köln. Allerdings hat ihn die für ihn unerwartete Aufnahme seiner phänomenologischen Analyse bei den ihm bis dahin fachlich völlig fremden Sprachwissenschaftlern beeindruckt und auch in dem Plan bestärkt, vor dem Hintergrund der immer schwieriger werdenden Verhältnisse in Deutschland nach Prag umzuziehen. Dazu hatte er wohl auch schon erste vorbereitende Schritte unternommen, s. die Hinweise bei E.Holenstein. Jakobson und Husserl. in: H.Parret (Hg.), »History of linguistic thought and contemporary linguistics«, Berlin: de Gruyter 1976: 722 - 810, bes. 778. Bei H.s Herkunft aus Mähren unter den damaligen politischen Randbedingungen lag eine Auswanderung in die Tschechoslowakei durchaus nahe.

[43] »Husserliana«, hg. von H. L. van Breda, Den Haag: Nijhoff, Bd. I, 1949; s. dort bes. die 5. Me­ditation, S. 121ff.

[44] Zwangsläufig nicht in Deutschland sondern in Belgrad: dort in der Zeitschrift Philosophia. Eine vollständigte Ausgabe erschien (mit Ergänzungen der Bearbeiter) erst 1956: „Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie" (oben schon erwähnt, s. Fn. 13).

[45] Zuerst publiziert von E. Fink unter dem Titel "Die Frage nach dem Ursprung der Geometrie als intentional-historisches Problem", in: Rev. Intern. de Philosophie 1/ 1939: 203 - 225 (mit einer aufschlußreichen Einleitung von Fink, der dort die sprachstrukturelle Seite herausstellt). Der Abdruck in den Husserliana Bd. IV, dort als "Beilage III", S. 365 - 386, weist einige textliche Abweichungen auf. Auf ihn beziehen sich die Seitenangaben im Folgenden.

[46] Zuerst in Prag (1939). Die erste Auflage ist gleich nach der deutschen Okkupation vernichtet worden (bis auf einige Exemplare, die schon nach England versandt worden waren). Die Neuauflage erschien 1948, Nachdruck Hamburg: Meiner 1999 (Textverweise im Folgenden auf diese Ausgabe). In Prag war die Ausarbeitung von Ludwig Landgrebe (1902 – 1991) betreut worden, der damals dort eine Assistentenstelle hatte, auf der er auch habilitiert hatte. Er war auch maßgeblich an H.s Aufenthalt dort 1935 beteiligt. Später wurde er auch Opfer der rassistischen Verfolgung: er überlebte eine KZ-Internierung. Nach dem Krieg ließ er sich nach Hamburg umhabilitieren; 1947 erhielt er eine Stelle an der U Kiel, seit 1954 dann eine o. Professur an der U Köln.

[47] Gerade auch bei den methodologisch ausgerichteten "Neuerern" der damaligen sprachwissenschaftlichen Forschung war die Orientierung an H. durchgängig. Das gilt so z.B. für W. Porzig, der im Anschluß an die "Logischen Untersuchungen" einen gewissermaßen kategorialgrammatischen Abriß der Grundstrukturen der Syntax der indoeuropäischen Sprachen vorgelegt hat (s. Fn 28). Wie selbstverständlich der Bezug auf H. bei den theoretisch ambitionierten Akteuren damals war, zeigt z.B. E. Lewys Kritik an Porzigs Versuch, der gegen diesen H.s Ansatz selbst ins Feld zu führen bemüht ist (so in seiner Besprechung dieser FS in: Orientalist. Literaturzeitung, Jg. 1925: Sp. 812 - 818, bes. 815).

[48] Das zeigt sich z.B. bei Schuchardts Versuchen, sich mit H. auseinanderzusetzen, wozu auch eine persönliche Kontaktaufnahme gehörte, s. dazu P.Swiggers / H. Seldesslachts, "Eine Karte von E.H. an Hugo Schuchardt, in: Orbis 37 / 1994: 284 - 289, und den kommentierten Abdruck der Karte im Schuchardt-Archiv: http://schuchardt.uni-graz.at/korrespondenz/briefe/korrespondenzpatner/1559. Für Schuchardt gehörte eine Kategorie wie "Urteil" nicht in eine sprachwissenschaftliche Analyse.

[49] Das ist an H.s Arbeiten denn auch öfters kritisiert worden, z.B. von Bar-Hillel.  In dieser Hinsicht liegt eine Welt zwischen H.s Unternehmung und z.B. der gleichzeitigen von Charles S. Peirce (1839 - 1914), der seine Überlegungen gewissermaßen kursorisch entlang der Analyse von allen möglichen Sprachen (auch exotischen: Baskisch, Eskimoisch u.a.) entwickelte wie vor allem in seiner "Speculative grammar" (zugänglich in "Collected papers of Ch. S. Peirce", Cambridge, Mass.: Harvard 1931, Bd. 1: 129 – 269). Die von Philosophen edierten deutschen Bearbeitungen dieses Textes (richtiger: dieser Textfamilie im Nachlaß von P.) sind in dieser Hinsicht wenig brauchbar, weil sie gerade die sprachanalytisch reichen Anmerkungen auslassen. Es gab im übrigen auch einen Anlauf zur brieflichen Kontaktaufnahme zwischen H. und Peirce, der von Peirce nicht fortgeführt wurde.

[50] entfällt !

[51] Im Sinne der traditionellen philosophischen Grundannahme, wie sie im scholastischen Kanon formuliert wurde: nihil est in intellectu, quod non prius fuerit in sensu („nichts ist im Verstand, das nicht vorher in den Sinnen gewesen wäre“).

[52] Für die Fragen nach der Ikonizität oder der „Natürlichkeit“ im Sprachsystem, die in der derzeitigen sprachwissenschaftlichen Diskussion eine große Rolle spielen, wäre ein Rückgang auf diese H.schen Differenzierungen hilfreich.

[53] Das war durchaus eine Grundfigur der damaligen Sprachreflexion: emphatisch durchdacht und formuliert bei Wittgenstein (in seiner Aporie einer „Privatsprache“).

[54] Die reichlich problematische Rede von „prodrop“ in der jüngeren Diskussion verunklart diese Dinge.

[55] Bei H. hat nicht nur eine propositionale Form als Satz Bedeutung, sondern ggf. auch ein Eigenname (bzw. Substantiv) in einem Akt der »Setzung«, weshalb beide Grundgrößen im Aufbau einer syntaktisch artikulierten Bedeutung sind. Dabei analysiert er auch formale Seiten der »Setzung« wie Artikel (»grammatisch bereicherte Namen«, LU II/1: 464).

[56] H. hat die Formalisierung seiner Überlegungen mit algebraischen Mitteln nicht selbst in Angriff genommen. Sie wurde  vor allem von den polnischen Logikern als begriffliche Grundlagen für ihre Entwicklung der mathematischen Logik genommen. Entsprechende Verweise finden sich, ausgehend von den "Logischen Untersuchungen", dort durchgehend, so bei dem führenden Kopf dieser Gruppe, bei Stanisław Leśniewski (1886-1939) oder dessen Schüler Alfred (Tajtelbaum-) Tarski (1901-1983). Eine direkte Umsetzung von H.s Grammatikkonzeption hat in dieser Gruppe Kazimierz Ajdukiewicz (1890-1963) unternommen, der H.s infor­melle Grundlegung als symbolischen Kalkül formalisiert hat (»Die syntaktische Konnexität«, in: Studia Philos.1/1935: 1-27); mit n für Nominal und S für Satz hat er die syntaktische Verknüpfung gewissermaßen als Kürzungsoperation analog zur Bruchrechnung dargestellt und so die Grundlage für die jüngere mathematisierte (algebraische) Grammatiktheorie geliefert (für eine systematische Darstellung auch mit Hinweisen auf die fachgeschichtliche Rezeption und Weiterentwicklung, s. G. Schön, Kategoriale Grammatik, in: H.L. Arnold / V. Sinemus (Hgg.), Grundzüge der Literatur- und Sprachwissenschaft, Bd.2, München: dtv 1974: 243 - 257). Diese später Kategorialgrammatik genannte Modellierung ist für die neuere Grammatiktheorie grundlegend geworden, vor allem nachdem Bar-Hillel sie in das generativistische Unternehmen eingebracht hatte.

[57] Noetisch zielt auf die kognitiven Akte, denen das Noematische als der Inhalt bzw. das Produkt dieser Akte gegenüber steht. Terminologisch hält H. diese Unterscheidung durchgehend fest - letztlich im Anschluß an Kant, der auch mit diesem Terminus operierte (zu gr. no-os „Verstand" [meist in der kontrahierten Form nous angeführt] und dem denominativen Verb no-e-ō „denken, erkennen ...").

[58] Diese Argumentation war schon in H.s früheren Arbeiten angelegt, weshalb sie auch grundlegend für die damaligen syntaxtheoretischen Arbeiten wurden. Ein gradliniges Beispiel dafür ist W.Porzig, Die Namen für Satzinhalte im Griechischen und im Indogermanischen, Berlin: de Gruyter (1942), s. die kompakte Präsentation seiner Argumentation dort S. 2 - entsprechend dem politischen Kontext ohne H. zu erwähnen.

[59] Die Einschränkung von Attribut auf die Erweiterung einer nominalen Gruppe und nicht für Prädikative ist jüngeren Datums. Die ältere Terminologie ist auch heute noch z.B. in der frz. Grammatographie fest, die bei grün (vert) in dieses ist grün von einem attribut spricht, bei  grün in dieser grüne Baum dagegen von einem épithète (< agr. „dazugestellt“). In dieser damals kanonischen Form der grammatiktheoretischen Argumentation spielt die Kategorie Verb keine eigenständige Rolle. Der Bau einer entsprechenden elementaren Prädikation kann allerdings noch durch eine formales Verknüpfungselement von Subjekt und Prädikat / „Attribut“ expliziert werden: durch eine copula (lat. „Strick“ > zum Zusammenbinden [lat. copulare]), für die in der Regel das "leere Verb" (verbum abstractum) dient, dt. sein, lat. esse …  – zu unterscheiden von dem homophonen (> attributiv aufgeladenen) Verb, das mit „existieren“ paraphrasiert werden kann. In dieser grammatiktheoretischen Grundlegung hat das Verb nur einen sekundären Status – insofern fehlt auch eine syntaktisch fundierte Grundkategorie Verbalität.

Letztlich ist das die aristotelische Begriffstradition, in der auch H. selbstverständlich steht. Aristoteles hatte die Prädikation im Aussagesatz aus den Grundelementen eines Satzgegenstands, bei ihm der referierende Name, der unabhängig interpretiert werden kann (ὄνομα), und der Satzaussage (dem Prädikat: ῥῆμα) entwickelt. Nur in der Schulgrammatik wurden daraus Wortarten, wobei aus der mißverstandenen aristotelischen Bestimmung, daß die Satzaussage in ihrer Geltung zeitlich beschränkt ist, die Fehlübersetzung von Rhema (ῥῆμα) als „Zeitwort“ hervorging. Auf dieser aristotelischen Grundlage hatte z.B. im Dt. A.F.Bernhardi (1769-1820) eine systematische Grammatiktheorie aufgebaut, so mit seiner seinerzeit einflußreichen „Sprachlehre“ (2 Bde., Berlin 1801-1803), auch schon mit einer rekursiven Rekonstruktion der komplexen syntaktischen Strukturen, mit der Inkorporation (> Nominalisierung) propositionaler Strukturen als syntagmatischen Konstituenten in einer Satzkonstruktion. Das waren die konzeptuellen Grundlagen für alle neueren Ansätze in der Tradition der grammatica speculativa – insofern auch für Husserl. Sie bestimmten insbesondere auch die „logistischen“ Grundlagenwerke zur Zeit Husserls, etwa das einflußreiche Handbuch von Lewis / Langford (1932), in dem auch von Adjektivität für (semantische) Prädikate die Rede ist). 

In Diskredit geraten ist diese Begrifflichkeit mit der historisch-vergleichenden Ausrichtung der Sprachwissenschaft, in Deutschland z.B. mit einer heftigen Polemik etwa von Jacob Grimm gegen Bernhardi. Allerdings ist sie noch die selbstverständliche Prämisse für deren Anfänge bei F. Bopp (1792-1871), der mit ihr sein Gründungswerk 1816 zum ie. Verbalsystem gestrickt hat (exemplifiziert am Sanskrit): dessen spezifische Ausformung in den ie. Sprachen rekonstruierte er als Fusion des Attributs (= Prädikativs) mit der Copula auf der einen Seite, wobei diese schon mit den personalen Markierungen (etymologisch als Pronomina artikuliert) fusioniert war. Zwar stellte auch Bernhardi schon explizit heraus, daß es ihm darum ging, die notwendigen Momente grammatischer Systeme zu explizieren; allerdings verlängerte er deren entsprechende Deduktion in die Entwicklung der vorfindlichen Strukturen (vor allem so in den „klassischen Sprachen“ Griechisch und Latein). Das war nun nicht mit deren „genetischer“ Rekonstruktion verträglich.

[60] Der Sprachwandel ist bei H. eine unvermeidliche Konsequenz davon, daß die spezifischen Sprachstrukturen gelernt werden müssen: sie sind historisch bzw. kontingent und insofern gewissermaßen definitionsgemäß wandelbar – anders als die noetischen Kategorien. Daher „klammert“ H. solche Erscheinungen in seinen Ausführungen ein – aber sie haben bei ihm eben doch einen systematischen Ort.

[61] Es wäre interessant, genauer zu rekonstruieren, wie H. seine Begrifflichkeit entwickelt hat und dabei auch, mit welchen sprachwissenschaftlichen Ansätzen er sich auseinandergesetzt hat. Obwohl er gerne autobiographische Hinweise in seine Ausführungen einflicht, findet sich dort dazu nichts. In dem Abriß seiner grammatiktheoretischen Begrifflichkeit, den er seiner „Logik“ (1929) als Beilage I beigibt, verweist er darauf, daß er diese in einer Vorlesung in Göttingen 1910/ 1911 entwickelt habe. In dieser Zeit lehrte dort der Indogermanist Jacob Wackernagel (1853-1938), dessen „Vorlesungen über Syntax“ (2 Bde., zuerst Basel 1920-1924) in ihrem Reichtum an detaillierten Beobachtungen noch lange nicht ausgeschöpft sind. Sie bilden ein hervorragendes Komplement zu Husserls Grammatiktheorie, weil Wackernagel mit seiner philologischen Akribie immer bemüht ist, die kognitiven Funktionen der analysierten Konstruktionen zu extrapolieren. Ob (und ggf. wie) die beiden, die an der gleichen Universität nebeneinander ihre Vorlesungen hielten, sich wechselseitig überhaupt zur Kenntnis genommen haben, wäre ein lohnender Untersuchungsgegenstand.

[62] Irritierend ist allerdings, daß jemand wie Porzig auch nach 1945 nicht mehr auf ihn verweist (z.B. nicht in seiner ansonsten breit angelegten Darstellung „Das Wunder der Sprache", Bern: Francke 1950, 5. A. 1971). Dazu stimmt mit umgekehrtem Vorzeichen die spätere Rezeption durch Nehring, s. bei diesem.

[63] S. W.Raible, Edmund Husserl, die Universalienforschung und die Regularität des Irregulären, in: G. Brettschneider / Chr. Lehmann (Hgg.), Wege zur Universalienforschung. FS für H.J. Seiler. Tübingen: Narr 1980: 42 - 50.

[64] In dessen Rahmen legte z.B. Georg Bossong 1977 seine Habilitationsschrift vor, die ihre systematische Begründung in dem Modell von H.s "Erfahrung und Urteil" suchte (G.Bossong, "Probleme der Übersetzung wissenschaftlicher Werke aus dem Arabischen in das Altspanische zur Zeit Alfons des Weisen", Tübingen: Niemeyer 1977 = BH 169 zur Zt. Rom. Ph.).

[65] S. z.B. H.Schnelle, Sprachphilosophie und Linguistik. Reinbek: Rowohlt 1973.

[66] S. Maurice Merleau-Ponty, »Sur la phénoménologie du langage« (1952), repr. in: ds. Œuvres, Paris: Gallimard 2010: 1188-1202. Anders als H.s sperrige Sprache sind Merleau-Pontys Überlegungen relativ leicht zugänglich.

[67] S. z.B. S. Aurora, A forgotten source in the history of linguistics: Husserl's Logical Investigations, in: Bull. d'Analyse Phénoménologique 11 (5)/ 2015, s. http://popups.ulg.ac.be/1782-2041-

[68]

Den Haag: Nijhoff 1977; z.B. zu seinen Vor­trägen im Prager Linguistenkreis, S. 468-470.