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Oppenheim, Adolf Leo

Geb. 7.6.1904 in Wien, gest. 21.7.1974 in Berkeley/Calif.

 

O. studierte von 1924-1926 Altorientalistik (Assyriologie) in Wien, arbeitete dann aber dort bis 1931 im väterlichen Möbelgeschäft, als er das Studium wieder aufnahm und 1933 promovierte (s.u.). 1935 wurde er Assistent und Bibliothekar am Orientalistischen Institut in Wien. 1938 wurde er aus rassistischen Gründen entlassen und emigrierte nach Frankreich, wo er in Paris am assyriologischen Institut arbeitete. 1939 wurde er interniert, konnte aber 1941 in die USA auswandern. Mit Unterstützung des Flüchtlingskomitees erhielt er zunächst eine Arbeit zur Katalogisierung der Keilschrift-Denkmäler in der New Yorker Public Library (s. Duggan/Drury: 42), 1941 wurde er naturalisiert. 1944-1947 lehrte er am Iranian Institute als Associate Professor für mesopotamische Sprachen und Kulturen. Von 1947 bis zu seinem Tod lehrte er als Professor für Assyriologie am Oriental Institute in Chicago. Seit 1955 fungierte er als verantwortlicher Herausgeber des großen akkadischen Wörterbuches »The Assyrian Dictionary of the Oriental Institute of the University of Chicago«.[1]

O. betrieb das Fach in einer breiten kulturgeschichtlichen Orientierung, für die die Texte in erster Linie Quellen liefern; daher arbeitete (und lehrte) er gemeinsam mit Fachkollegen aus anderen Disziplinen. In Wien hatte er bei dem Orientalisten Christian studiert und promoviert, aber in enger Zusammenarbeit mit Rechtsgeschichtlichern; von Chicago aus arbeitete er über Jahre hin mit dem Ökonomen (und ebenfalls Exilanten) K. Polányi zur mesopotamischen Wirtschaftsgeschichte und gemeinsam mit dem Technikhistoriker Diakonoff über die technikwissenschaftlichen Entwicklungen, u.a. auch in gemeinsamen Seminaren an der Columbia University in New York; s. dazu die Würdigung seines Gesamtwerkes von E. Reiner/J. Renger (Q) in der Einleitung zu der von diesen herausgegebenen Mikrofiche-Sammlung seiner kleinen Schriften.

Eine selbstverständliche Voraussetzung für eine solche Arbeit war es für ihn, die sprachliche Form der Quellen genau zu analysieren. So war schon seine Dissertation einem grammatischen Thema gewidmet: »Die mittels T-Infixes gebildeten Aktionsarten des Altbabylonischen«,[2] auf der Basis eines Textkorpus, das er sorgfältig nach verschiedenen Textsorten differenzierte und auswertete. Dabei trennte er die schreiberspezifischen (stilistischen) Variationen von solchen, die sprachgeschichtlich interpretierbar sind, wozu er einen ausgesprochen weiten vergleichenden Horizont aufspannte, nicht nur innerhalb der semitischen Sprachen, sondern der afro-asiatischen Sprachen insgesamt bis hin zum Berberischen.

Mehr kulturgeschichtliche Fragen beschäftigten ihn bei seiner nächsten Arbeit, den »Untersuchungen zum babylonischen Mietrecht«,[3] eine vor allem auch lexikographische Arbeit, die seinen späteren Arbeitsschwerpunkt zeigt: mit einer genauen philologischen Analyse der z.T. syntaktisch schwierigen Belegstellen und etymologischen Studien, die seine Orientierung an der Wörter und Sachen-Ausrichtung deutlich machen.

Die lexikologischen Interessen bestimmten seine erste US-amerikanische Arbeit, den »Catalogue of the Cuneiform tablets of the Wilberforce Eames Babylonian Collection in the New York Public Library«,[4] den er über ein Glossar erschloß, das das lexikalische Material wiederum nach unterschiedlichen Textschichten und nicht zuletzt auch den verschiedenen Sprachschichten des Sumerischen und Assyrischen differenzierte. O unternahm eine Analyse der Sprachpraxis in einem umfassenden Sinn, was für ihn eine Reduktion der bearbeiteten Texte auf sprachliche Belege genauso ausschloß wie auf ihre Auswertung nach historischen Informationen.

Das wird besonders deutlich bei seiner Analyse zum alten Mesopotamien: »Neo-Assyrian and Neo-Babylonian Empires«,[5] wo er die Inszenierung königlicher Macht als Mittel der Terrorisierung nach innen analysiert – direkt lesbar als Reflex zeitgenössischer Analysen staatsterroristischer Systeme in der Gegenwart (vor allem also des Faschismus – so ja auch in diesem Unternehmen plaziert, an dem u.a. Speier maßgeblich beteiligt war). Es ist bemerkenswert, wie er hier auch in Nebensträngen seiner Argumentation Gemeinplätze des (sprach-)wissenschaftlichen Diskurses entkräftet, so in der Analyse zeremonialer (Schrift-)Praktiken gegen ein allein kommunikativ ausgerichtetes Sprachverständnis (bes. S. 118).

Nicht nur in den USA wurde er zu einer der Schlüsselfiguren der Altorientalistik, mit den Worten von Reiner/Renger (1974: A5): »Current approaches to Assyriology have been decisively shaped by the work of A. L. O.«. Gerade weil für ihn die philologisch-sprachwissenschaftliche Arbeit nur instrumental für die Erschließung des »Weltbildes« des alten Orients war, wie es sein enger Mitarbeiter Landsberger ausdrückte, dessen Programm er in seinem Nachruf ausdrücklich auch für sich übernahm, wandte er sich entschieden gegen die geisteswissenschaftliche Tradition, eine solche positivistische Arbeit mit den Quellen gewissermaßen zu überspringen. So führte er zur Irritation vieler Fachkollegen in seinem zusammenfassenden Überblick »Ancient Mesopotamia«[6] aus, »why a ›Mesopotamian Religion‹ should not be written« (S. 172-183): statt solcher globaler Projektionen auf die Frühgeschichte seien die Quellen systematisch aufzubereiten. Einen Querschnitt durch seine weit gestreuten Studien, von sprachlich deskriptiven Arbeiten, darunter auch namenkundlichen und schriftgeschichtlichen, bis hin zu weit gespannten kulturgeschichtlichen Untersuchungen, neben vielen quellenerschließenden Arbeiten, gibt die o.g. Sammlung von Reiner/Renger (Q), die auch ein Schriftenverzeichnis enthält (dort F 6).

Q: BHE; DBE 2005; Bibliogr. Nachweise in der Festschrift: »Studies presented to A. L. O.«, Chicago: Oriental Institute of the University of Chicago 1964; Reiner/Renger (Hgg.), »Essays on Mesopotamian Civilization«, Chicago: Chicago UP 1974; Nachruf von E. Leichty, in: J. Amer. Orient. Soc. 95/1975: 369-370; zum Nachlaß s. Spalek u.a. 1978; Hanisch 2001: 69; Hinweise zur Person von Menges.



[1] Chicago: Oriental Institute 1956ff.

[2] Maschinenschriftlich, Universität Wien 1933.

[3] Beiheft 2 zur Wiener Z. Kunde Morgenlandes, Wien 1936.

[4] New Haven/Conn.: American Oriental Society 1948.

[5] In: H. D. Lasswell u.a. (Hgg.), »Propaganda and Communication in World History«, Bd. I, Honolulu: Hawaii UP 1979: 111-144.

[6] Chicago: Chicago UP 1964.