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Rohde, Georg

Geb. 23.12.1899 in Berlin, gest. 21.10.1960 in Berlin.

 

Nach dem Abitur 1917 in Berlin zunächst Militär(hilfs-)dienst bis 1919; da­nach Studium der klass. Philologie, Archäologie und Germanistik in Berlin und Marburg. Das Studium mußte er als Werkstudent selbst verdienen (der Vater war Straßenbahnschaffner). Promotion 1926; als Dissertation legt er vor: »De Vergili eclogarum forma et indole«.[1] Sie bemüht sich in einer genauen Textinterpretation um den Nachweis von Vergils Eigenständigkeit gegenüber den griechischen Vorbildern (bes. Theokrit). Dabei verfährt er in Anlehnung an E. Norden, dem er auch als seinem Berliner Lehrer dankt. Sprachwissenschaftliche Analysen spielen nur indirekt im Umgang mit dem Text eine Rolle. Bereits vorher (seit WS 1924/1925) hatte er einen Lehrauftrag für Latein und griech. Übungen in Marburg. Nach der Promotion übernahm er die Leitung der Lateinkurse in Marburg, 1928 wurde er dort Assistent am Phi­lologischen Seminar. 1931 Habilitation in Marburg; seit WS 1932/1933 Lehrstuhlvertretung dort. In seiner mutmaßlichen Habilitationsschrift »Die Kultsatzungen der römischen Pontifices«[2] untersucht er die überlieferten römischen Priesterschriften, mit einer systematischen Bestandsaufnahme, die auf eine an Norden orientierte Stilanalyse dieser Textgattung zielt. Auch bei seinen weiteren Veröffentlichungen ist das kulturhistorische/literarische Interesse dominant, auch da, wo er sich bei den Quellen auf nichtliterarische Texte wie Inschriften stützt, die er analysiert.[3]

Seine Frau, eine klassische Archäologin, war von der rassisti­schen Gesetzgebung betroffen. Eine Scheidung kam für R. nicht in Frage (er war überzeugter Katholik). Obwohl er auch das »Bekenntnis der Professoren (...) zu Adolf Hitler« im November 1933 unterschrieb, war er ein ausgesprochener Gegner des Nationalsozialismus. Er bemühte sich um die Auswanderung und erhielt vor allem aufgrund einer Befürwortung durch E. Norden einen Ruf auf eine Professur für Klass. Philologie in Ankara an der dort neu gegründeten Universität, die er im November 1935 antrat. Bis 1938 wurde er in Marburg dafür beurlaubt. In der Türkei betrieb er systematisch den Aufbau der klass. Philologie in enger Bindung an das türkische Unterrichtsministerium, das damals den Aufbau der klassischen Philologie als Gegengewicht zur traditionellen osmanischen (arabisch-persisch orientierten) einheimischen Philologie forcierte. R. lernte dazu auch Türkisch. Mit seinen Schülern (insbes. S. Sinanoğlu, T. Uzel und A. Erhat) entwickelte er türkische Lehrmaterialien für den Lateinunterricht: »Latin dili grameri«, 1943; »Lingua Latina. Latince ders Kitab I«, 1948; »Kitab II«, 1950), dazu auch zweisprachige Übungs­texte mit Glossaren (Latein u. Griechisch). Er übersetzte auch selbst klassische Texte z.B. Platons »Staat« ins Türkische, um eine Grundlage für eine Reform des höheren (Schul-)Bildungssystems zu schaffen.[4] Auch am Verwaltungsleben nahm er auf türkisch teil, wie seine Berichte in der Fakultätszeitung der Universität Ankara dokumentieren.[5]

Obwohl die Familie auch in den Erinnerungen der Kinder offensichtlich relativ unproblematisch in der Türkei lebte, war ihr Leben dort von vornherein auf die Rückkehr nach Deutschland abgestellt; sie verstanden den Türkeiaufenthalt als Exil.[6] Entsprechend legten die Eltern auch keinen sonderlichen Wert darauf, daß die Kinder Türkisch lernten, obwohl sie auch eine türkische Schule besuchten[7] – sie wurden dafür vom Vater privat in Latein unterrichtet. Gegen Kriegsende wurde die Familie wie die meisten anderen gebliebenen Immigranten interniert (anders: Hoss 2007: 175). Zu ihrem engen Freundeskreis in der Türkei gehörte Ernst Reuter,[8] der ihn später als Bürgermeister von Westberlin nach dort holte. Dort baute R. ab 1949 als Professor für klassische Philologie das entsprechende Institut der Freien Universität auf und gestaltete den Aufbau der neuen Universität auch sonst: als Dekan, in den ersten Jahren zeitweise auch als Rektor, entscheidend mit. Als Professor lehrte er dort bis zu seinem Tod.

 

Q: LdS: permanent; BHE; Widmann 1973; Haymatloz (S. 80 u. passim); Hoss 2007: 174-175; Nachruf von P. Moraux, in: Gnomon 33/1961: 109-111; G. Radke (Hg.), »Gedenkschrift für G. R.«, Tübingen: Niemeyer 1961 (ohne Personalschrifttum in engerem Sinne, aber mit einer Gedenkrede von E. Fraenkel, S. 1-8).



[1] Berlin: Ebering 1925 – in den von F. Jacoby hg. »Klassisch-philologischen Studien«, Heft 5.

[2] Berlin: Töpelmann 1936.

[3] Z.B. in »Die Bedeutung der Tempelgründungen im Staatsleben der Römer«, Marburg: Elbert 1932.

[4] S. Seyhan: 279.

[5] S. z.B. seine Anzeige der Dissertation von S. Sinanoğlu ebd. Nr. 2/1943: 15. S. dazu S. Sinanoğlu,  »L’humanisme à venir«, Ankara: Tarih-Coğrafya fakültesi 1960, der dort allerdings R. nicht erwähnt.

[6] Dem entspricht auch die Einschätzung von Scurla (s. Grothusen 1987), der darauf hinweist, daß G. sich bemühe »loyal« zu sein und nach Deutschland zurück wolle, S. 57 und S. 103.

[7] S. die Erinnerungen der Tochter Silvia, jetzt S. Giese, in: Haymatloz: S. 80-81.

[8] S. auch seine Erinnerungen in dem von ihm (u.a.) hgg. Gedenkband »Ernst Reuter«, Berlin: Verlags-GmbH 1954: 18-20. Ernst Reuter (1889-1953) war als Sozialist/Kommunist expliziter Gegner des Nationalsozialismus, der nach einer vorübergehenden Inhaftierung über England in die Türkei auswanderte, wo er von 1939 bis 1945 Professor für öffentliche Verwaltung an der Universität Ankara war. 1946 kehrte er nach Berlin zurück, baute dort die SPD auf, und war nach der Teilung der Stadt ab 1948 Bürgermeister von Westberlin, wo er die Gründung der Freien Universität betrieb (gegen die Humboldt-Universität in Ostberlin).