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Stein, Rolf Alfred

Geb. 1911 in Swiecie, Polen (damals Schwetz, zwischen Posen und Danzig); gest. 9.10.1999 in Paris.

 

Bereits als Schüler hatte S. begonnen, Chinesisch zu lernen. Nach dem Abitur in Berlin studierte er dort Sinologie und Ethnologie am Seminar für Orientalische Sprachen, Abschluß im März 1933. Um der rassistischen Verfolgung zu entkommen, wanderte er noch im April 1933 nach Frankreich aus. S. setzte dort an dem Nationalinstitut für moderne orientalische Sprachen sein Studium fort, das er 1934 mit einem Diplom für Chinesisch und 1936 für Japanisch abschloß. 1937 erwarb er die Licence an der Sorbonne. Er lebte von Gelegenheitsjobs, u.a. von Sprachunterricht, zeitweise auch von Bibliothekstätigkeiten, z.T. auch von Zuwendungen privater Mäzene. Arbeitsschwerpunkt war für ihn zunehmend das Tibetische.

Bei Kriegsausbruch im September 1939 wurde er wie alle Deutschen in Frankreich zunächst interniert, dann aber, als ihm die vorher schon beantragte französische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, entlassen. Mit Kriegseintritt Frankreichs wurde er zum Militär eingezogen. 1940 sollte er an der École Française d’Extrême-Orient in Paris eingestellt werden, was aufgrund der rassistischen Gesetzgebung der Vichy-Regierung nicht zustande kam. Beim Militär wurde er in Vietnam eingesetzt, zunächst an der Front, dann als Übersetzer für Chinesisch und Japanisch. Gegen Kriegsende geriet er in japanische Gefangenschaft, aus der er 1946 entlassen wurde. In diesem Jahr wurde er in Paris rückwirkend ab 1941 zum Mitglied der École Française d’Extrême-Orient ernannt.

1946 bis 1949 lebte er in China, in Verbindung mit dem französischen Zentrum für sinologische Studien in Peking. In dieser Zeit arbeitete er insbes. zum Tibetischen und Mongolischen, und publizierte seine erste größere Arbeit über fernöstliche Miniaturgärten (Bonzai). Seit 1949 lehrte er in Paris als Professor für Chinesisch an der École des langues orientales, von 1950 bis 1975 an der École Pratique des Hautes Études, wo er neben Chinesisch auch Japanisch und Tibetisch unterrichtete (neben dem Klassischen Tibetischen auch das heute gesprochene). Von 1966 bis 1981 war er Professor am Collège de France.

Sein Arbeitsgebiet war die Kulturgeschichte im weitesten Sinne, mit dem Schwerpunkt bei Tibet, wo er Einflüsse aus den Nachbarkulturen und -sprachen (insbes. indischen) untersuchte. Forschungsschwerpunkt war dabei die Religionsgeschichte, in den letzten Jahren zunehmend tantrische Richtungen, zu denen er Quellen veröffentlichte und analysierte. Eingebettet war das bei ihm immer in umfassende kulturgeschichtliche Zusammenhänge, wie in seinem Abriß »La Civilisation tibétaine«.[1]

Für seine Habilitation 1960 (Doctorat d’Etat) unternahm er eine Edition (1956) des tibetischen Epos »Gesar« aus dem 15./16. Jahrhundert in Verbindung mit einer umfassenden philologischen Analyse (»Recherches sur l’épopée et le barde au Tibet«),[2] die detailliert stilistische und formale (metrische) Untersuchungen enthält, mit denen er diesen synkretistischen Text mit seiner vielfältigen Überlieferung im Chinesischen, Tibetischen und Mongolischen aufbereitet. Er zeigt, daß es sich dabei nicht um eine genuin tibetische Tradition handelt, sondern vielmehr um ein hybrides Werk, das auch westliche Einflüsse verarbeitet (im Namen Gesar sieht er einen Reflex von Caesar).[3]

Wenn auch nicht im Zentrum seiner Forschungen, so ging er doch mehr als beiläufig auf sprachanalytische Fragen ein, so vor allem in seiner quellenkritischen Folgestudie »Tibetica Antiqua«.[4] In der ersten Folge edierte er ein Glossar, das in mehreren Versionen überliefert ist, und gab eine kritische Analyse der verschiedenen Versionen mit detaillierten wortgeschichtlichen und etymologischen Anmerkungen. Sprachliche Fragen waren bei ihm immer kulturanalytisch definiert, so z.B., wenn er Homologien zwischen sprachlichen Strukturen und anderen kulturellen Artefakten herstellte, wie in der zweiten Arbeit aus dieser Folge »L’usage de métaphores pour des distinctions honorifiques à l’époque des rois tibétains«, in der er in einer sehr detaillierten Textanalyse Entsprechungen zwischen metaphorischen Bezeichnungen bei Anredeformen und bildlichen Darstellungen in emblematischen Bildern und Figuren nachgeht. Auch hier kommt er über eine detaillierte Textanalyse zur Rekonstruktion der Überlieferung und der Einflüsse späterer Schreiber.

Nach Deutschland ist er seit seiner Ausreise 1933 erst im Jahre 1977 wieder zurückgekommen, als ihm die Universität Bonn einen Doktor h.c. verliehen hat.

Q: M. Strickmann, in ders. (Hg.), »Tantric and taoist studies in honour of R. A. Stein« (mit Bibliographie 17*-21*);[5] Nachruf von K. Liying, in: Cahiers d’Extrême-Asie 11/2000: xi-xxx (mit vervollständigter Bibliographie in Strickmann 1981, s.o.)



[1] Paris: Dunod 1962 (englische Übersetzung London: Faber & Faber 1972).

[2] Paris: Presses Universitaire 1959.

[3] Bei den Vorarbeiten geht er insbes. auch auf die von Laufer ein.

[4] In: Bulletin École Française d’Extrême-Orient 72/1983, 73/1984, 74/1985, 75/1986, 77/1988, 79/1992.

[5] Brüssel: Institut Belge des Hautes Études Chinoises 1981.