Maas Logo web

Anstock, Heinz

Geb. 13.3.1909 in Wuppertal-Elberfeld, gest. 21.8.1980 in Sinzig.

 

A. studierte in Bonn, München, Heidelberg und Paris Romanistik und Germanistik. Anfang 1933 hatte er sich in Bonn bereits zum Staatsexamen gemeldet und eine Examensarbeit über den Expressionismus vorgelegt. Er war in sozialistischen Organisationen im Umfeld der Kommunistischen Partei aktiv, u.a. in einer studentischen »Sozialistischen Arbeitsgemeinschaft«. [1]Als politischer Gegner wurde er am 28.2.1933 verhaftet und saß bis Mai in Bonn im Gefängnis. In dieser Zeit wurde er von der Universität relegiert und seine Prüfungsleistungen einschließlich der eingereichten Arbeit kassiert. Nach der Freilassung versuchte er noch, in Köln das Studium wieder aufzunehmen, u.a. im direkten Kontakt zu Spitzer, der damals selbst schon entlassen war, ihm aber anbot, ihn später nach Istanbul zu holen.

Im Oktober 1933 ging A. nach Basel, um dort sein Studium fortzusetzen, erhielt aber Anfang 1934 von Spitzer das Angebot für eine Mitarbeiterstelle in Istanbul, wo er bei diesem gemeinsam mit R. Burkart (Heyd) das Institut aufbaute.[2] Seit 1935 unterrichte er gleichzeitig auch an einem türkischen Gymnasium in Istanbul. Er behielt seine Stelle an der Universität auch unter dem Spitzer-Nachfolger Auerbach bei und war 1941/1942 maßgeblich am Aufbau der deutschen Abteilung und der Berufung Brinkmanns beteiligt.

A. hatte von Anfang an begonnen, Türkisch zu lernen, und nutzte seine Kenntnisse auch im kontrastiv angelegten Deutschunterricht. Gemeinsam mit einem anderen Exilanten, Julius Stern[3], unternahm er es, ein entsprechend systematisch angelegtes Lehrbuch für das Deutsche zu schreiben, bei dem die Grammatik das Rückgrat bilden sollte.[4] Der erste Band des gemeinsamen Lehrwerks »Türkler için Almanca: Deutsch für Türken« erschien 1938 im Selbstverlag, 1939 (?) auch ein zweiter Band, der entsprechend in anspruchsvollen literarischen Texten im Lesebuchteil der Syntax der komplexen Sätze gilt.[5] Eindeutig sprachanalytisch ausgerichtet ist das Lehrwerk, das A. für den akademischen Unterricht verfaßte: »Deutsche Syntax«.[6] 1943 legte er ein türkisches Staatsexamen (lisans) ab, mit dem Hauptfach Französisch und einer literaturwissenschaftlichen Examensarbeit.

 Als die Türkei im August 1944 die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland abbrach, wollte A. nach Deutschland zurückkehren, konnte aber nicht mehr ausreisen. Daraufhin wurde er in Istanbul interniert, später, nach dem Kriegseintritt der Türkei (Februar 1945), in Anatolien (Kirşehir). Nach der Freilassung nahm er seine Unterrichtstätigkeit in Istanbul wieder auf. 1947 hatte er eine türkische Frau geheiratet, von der er sich 1951 scheiden ließ. In diesem Jahr lernte er eine deutsche Frau in Istanbul kennen, die er 1952 heiratete. Er bemühte sich zunächst erfolglos um ein Wiedergutmachungsverfahren, das erst 1954 Erfolg hatte. Daraufhin erst kehrte er mit seiner Frau nach Deutschland zurück, wo er 1955 noch ein zusätzliches deutsches Staatsexamen ablegte, aufgrund dessen er als deutscher Lehrer an die Deutsche Schule in Istanbul delegiert wurde. Deren Leitung hatte er von 1961 bis zu seiner Pensionierung 1974.[7]

Nach der Pensionierung kehrte er mit seiner Frau in deren Heimatort Sinzig zurück. In einem späteren Rückblick auf die Istanbuler Schule betonte er deren vermittelnde Rolle im Verhältnis zu Deutschland und in diesem Rahmen die dominante Rolle des »deutschen« Judentums in der Türkei, aus dem sich weiterhin eine große Gruppe der Schüler dort rekrutierte (»Über die Arbeit der deutschen Schule Istanbul«, hier S. 59).[8]

Q: Eine Autobiographie (»Aufzeichnungen für unsere Kinder«) ist postum in Minden 2007 gedruckt worden (Privatdruck von I. Jacobs); Widmann 1973 (bes. S. 106-107 mit Literaturhinweisen); Hinweise von R. Heyd; passim erwähnt in Hillebrecht, Haymatloz. Hinweise von E. Freyberger (Tochter von A.).


[1] Bemerkenswert ist sein offensichtlich schon damals unverkrampftes Verhältnis zu Juden, s. sein Bericht über ein jüdisches Jugendlager, das er selbst als »Goy« in seiner Studienzeit in Bonn organisiert hatte, s. seine Autobiographie, Q: 64-65.

[2] Der »Scurla-Bericht« spricht von ihm als »dem als aktiver Kommunist bekannten« A., s. Grothusen 1987: 130. Zu seiner Arbeit dort s. auch Della Terza 1987: 37.

[3] Stern war seit 1929 Lehrer an der Deutschen Schule in Istanbul, wo er 1936 als Jude entlassen wurde, s. Hoss (2007: 113).

[4] Stern war seit 1929 als Lehrer für Biologie und Chemie an der Deutschen Schule in Istanbul tätig, bis sein Vertrag aus rassistischen Gründen 1936 nicht mehr verlängert wurde. Zu ihm s. auch die Hinweise in »Haymatloz« (S. 88-89, dort auch abgedruckt ein Titelblatt des Lehrbuchs), wo er als Vetter von A. bezeichnet wird, anders in A.s Autobiographie (Q). Stern wurde später Mitglied einer türkischen Kommission für die Organisation des Deutschunterrichts, die auch eigene Lehrbücher herausgab: »Almanca ders kıtablan«, von der er auch den ersten Band für den Anfangsunterricht selbst verfaßte. A. zufolge lag ihm allerdings der sprachanalytische Teil gar nicht, den er im gemeinsamen Werk auch A. überließ.

[5] An Bd. 1 war auch ein türkischer Mitarbeiter beteiligt, der aber der Aufgabe offensichtlich nicht gewachsen war und später nicht mehr mitarbeitete (s. die Autobiographie, Q). Das Lehrwerk wurde mehrfach aufgelegt, 1973 dann aber von den Autoren an einen türkischen Verlag verkauft, der es 1974 in einer einbändigen Ausgabe auf den Markt brachte.

[6] Istanbul: Edebiyet Fakültesi 1954. Das Buch wurde recht wohlwollend von J. Fourquet besprochen (in: Wirkendes Wort 8/1957: 120-122), der dabei auch A.s autodidaktischen Weg durch seine Bindung an die Vorstellungen der Schulgrammatik, ohne Bezug zu den methodologischen Entwicklungen der neueren Sprachwissenschaft, herausstellt.

[7] 1958 publizierte er in der Festschrift zum 90-jährigen Bestehen der Deutschen Schule.

[8] In: Chr. Schneider (Hg.), »Die deutsche Schule im Ausland«, Heidelberg: Quelle & Meyer 1969. S. auch seinen Rückblick zu deren 90-jährigem Bestehen in: »Alman Lisesi: Festschrift zum 100jährigen Bestehen der Deutschen Schule Istanbul«, Istanbul: Deutsche Schule 1968.