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Bonheim, Helmut 

Geb. 6.1.1930 in Danzig, gest. 13.2.2012 in Köln.
 

1938 mit den Eltern vor der rassistischen Verfolgung in die USA emi­griert. Studium in New York (1951 B.A., 1952 M.A.); 1956-1958 in Wien; 1959 Pro­motion an der University of Washington, Seattle. Lehr­tätigkeit in der Anglistik an der Univ. of California in Santa Barbara seit 1958. 1963-1965 Gast­professur für eng­lische Literatur an der Univ. München. Seit 1965 o. Prof. für englische und ameri­kanische Philologie an der Univer­sität Köln; 1995 emeritiert.

B. vertrat das Fach im breiten philologischen Sinne und hatte dabei einen deutlichen literaturwis­senschaftlichen Schwer­punkt, s. etwa sein Stu­dienbuch »The King Lear Perplex«,[1] das mit einer Antho­logie kritischer Texte und einer sy­stematischen Bi­bliographie zum King Lear eine Einführung in die literaturwissen­schaftliche Me­thode gibt, die (sehr euro­päisch!) die fachwissen­schaftliche Tra­dition va­lorisiert. Auch seine sprachana­lytischen Arbeiten sind meist an lite­rarische Werke an­gelehnt, so etwa sein »Lexicon of German in Finnegan's Wake«,[2] das für diesen Teilbereich der sprach­lichen Po­lyphonie bei Joyce ein Arbeitsinstrument lie­fern will, das einerseits die von Joyce ge­nutzten englisch-deut­schen Kontaminationen er­schließen hilft, an­dererseits belie­bige lautli­che Assoziationen ohne Textbezug aus­schalten soll (das Material wird von ihm fortlaufend mit dem Text aufge­führt und kommen­tiert).

Seine jüngeren Monographien gelten ebenfalls der lite­raturwissenschaftlichen Methodologie, ver­suchen aber sy­stematisch neuere sprachwis­senschaftliche Ent­wicklungen nutz­bar zu ma­chen (im Umfeld der »Textlinguistik«, bei ihm ist ent­sprechend oft von »Intertextualität« die Rede). Ge­genüber dem an­glo-amerikanischen Publi­kum präsen­tiert er seinen Ansatz in dem grund­legend in­tendierten Band »The narrative Modes. Techniques of the Short Story«[3] als »Teutonic« (S. ix), mit dem Fokus auf systema­tischer Explika­tion/Modellierung von Text­strukturen, die er hier an einem umfangreichen Corpus auch stati­stisch verifi­ziert (an Anfängen und Ausgängen von Kurzgeschichten, Elemente von mündli­chem Erzählen, »erlebte Rede«).

Aus einer Reihe von Aufsätzen, in denen er die­sen An­satz in extensiver Aus­einandersetzung mit der neueren sprachwissen­schaftlichen Literatur seit 1957 entwickelt hat (vom europäischen Strukturalis­mus bis zu Chomsky), hat er einen ambitionierten literatur­theoretischen Band gemacht: »Literary Systema­tics«,[4] wo er u.a. die extensive Be­nutzung von Baumgraphen dis­kutiert – mit Hinweis auf das paral­lele »kladistische« Unternehmen von H. Hoenigswald (auch mit der glei­chen Emphase auf der biologi­schen Fundie­rung dieser Modelle). Biographische Zäsuren spiegeln sich in seiner wis­senschaftsgeschichtlichen Einordnung, wenn er die phasen­verschobenen nichtsynchronisierten Fachdiskus­sionen in den USA und Deutsch­land mit der vom Fa­schismus 15 Jahre verzögerten Rezep­tion der anglo-amerikanischen Literaturwissen­schaft begründet (vgl. S. 9). An der Univ. Köln war er durchaus in die sprachwissenschaftlichen Diskussionen eingebunden, wie sein Beitrag zur FS für H.J.Seiler zeigt, in dem er mit Anmerkungen zum Gefühlswortschatz im Mittelenglischen auf Parallelen in der sprachhistorischen Analyse mit der ethnographischen Feldforschung verweist.[5]


Ein weiterer Ar­beitsschwerpunkt liegt bei der Fremdsprachendidak­tik, wo er Beiträge zur Ent­wicklung von Testverfahren für die Fremd­sprachfertigkeit der Studierenden geliefert hat, die in ih­rer systematischen Berücksichti­gung der verschie­denen Ebenen (von der Ausspra­che bis zum literatur­geschichtlichen Wissen) ei­nerseits den Studierenden gegenüber fairer sein sollen als punktuelle Prüfun­gen, anderer­seits für die Steuerung der Unterrichtsprogres­sion diagno­stisch instruktiver, s. sein ent­sprechendes Plädoyer in: »Objective Tests in University-Level English«.[6]

Daneben stehen aber auch eine Reihe von hochschul­politischen und im weiteren Sinne aka­demische Belange be­treffende Publikatio­nen (von Fra­gen des Aufbaus einer Semi­narbibliothek über Aus­landsstudien bis zu Fragen des Besoldungs­rechts...). Die ihm 1960 gewidmete Fest­schrift versammelt nur eher literaturwissen­schaftlich orien­tierte Beiträge.

Q: BHE; Festschrift R. M. Ni­schik (Hg.), »Mo­des of Narrative«, Würzburg: Königs­hausen 1990 (mit Bibliographie). Hinweise von Frau Jean B.



[1] San Francisco: Wadsworth 1960.

[2] München: Hueber 1967.

[3] Cambridge: Brewer 1982.

[4] Cambridge: Brewer 1990.

[5] Word invention and the history of affect, in: G.Brettschneider / C.Lehmann (Hgg.), Wege zur Universalienforschung. (FS H.J.Seiler), Tübingen: Narr 1980: 521 – 528 – mit Verweisen auf Seilers Arbeiten zum uto-aztekischen Cahuila.

[6] In: R. B. Pynsent (Hg.), »Objektive Texte im Englischunter­richt der Schule und Universität«, Frank­furt: Athenäum 1972: 1-13.