Cohn, Georg
Nach dem Abitur 1883 Studium der klassischen Philologie und Romanistik in Berlin. Promotion 1890. Die Dissertation hat er 1891 erweitert publiziert: »Die Suffixwandlungen im Vulgärlatein und im vorliterarischen Französisch, nach ihren Spuren im Neufranzösischen«.[1] Malkiel würdigte diese Arbeit als eines der Meisterwerke der romanischen Philologie, die grundlegend für folgende Standardwerke (etwa Meyer-Lübkes »Vergleichende Grammatik«) wurden. [2] Philologische Akribie und Fleiß in der Tradition seines Lehrers Adolf Tobler, dem er die Arbeit widmet, sind hier mit einem Versuch zu detaillierter Schematisierung (bes. in Hinblick auf Neutralisierungen bzw. Synkretismen) verbunden, der – gegen das damals übliche kasuistische Sammeln von Beobachtungen – Momente einer strukturalen Sprachbetrachtung aufweist. Für C.s Sprachverständnis blieb allerdings die Vorstellung von einer subjektiven Sprecherabsicht leitend (hier war C. wohl an seinem anderen Lehrer, H. Steinthal orientiert, als dessen Schüler er sich in der Vita zur Dissertation – neben Tobler – ausdrücklich erklärte).
Obwohl C. damit seinen Eintritt in die Scientific Community bewerkstelligt hatte, deren Zugehörigkeit er auch mit einem sehr positiv registrierten etymologischen Beitrag zur Festschrift für Adolf Tobler einige Jahre später unter Beweis stellte (»Rêver und gelegentlich desselben«),[3] führte er die Existenz eines Privatgelehrten: Weder Habilitation noch Lehrauftrag banden ihn an die Universität. Es ist unklar, welche Rolle dabei der Antisemitismus für den konfessionell praktizierenden Juden C. spielte – das Familienvermögen erlaubte ihm eine solche Lebensweise. Er beteiligte sich aber bis 1938 an den Aktivitäten der »Berliner Gesellschaft für das Studium der neueren Sprachen« – bis die rassistischen administrativen Maßnahmen des Regimes ihm das unmöglich machten; (un)kollegiale Verhaltensweisen machten ihm offensichtlich noch mehr zu schaffen (s. Malkiel a.a.O., S. 249 zu E. Gamillscheg). Offensichtlich hat C. sich nach der Zeit seiner Dissertation, auf die er aufbauend kleinere Beiträge zur romanischen Etymologie und Wortbildung veröffentlichte (etwa die mit einer Fülle von Belegen gespickten »Bemerkungen zu Adolf Toblers ›Altfranzösischem Wörterbuch‹, Lf. 1 und 2«),[4] nicht mehr sprachwissenschaftlich betätigt, nur noch textphilologisch. Eine größere altfranzösische Textedition, die er ca. 1938 (?) noch fertigstellte, wurde nicht mehr publiziert und ist, wie auch sein sonstiger Nachlaß, verschollen. Genaueres über seine letzten Lebensjahre und seinen Tod ist nicht bekannt.
Q: Y. Malkiel (s.o.); Christmann/Hausmann 1989.
[1] Halle/S.: Niemeyer – vorher als Teildruck in Halle: Druckerei des Waisenhauses 1890.
[2] S. zur Einschätzung dieser Arbeit Y. Malkiel, »Between Steinthal and Adolf Tobler. Georg Cohn in turn-of-the-century Berlin«, in: Historiographia Ling. 5/1978: 237-251.
[3] Halle/S.: Niemeyer 1895, S. 269-288.
[4] In: A. f. d. Stud. d. Neueren Spr. 142/1921: 217-229.