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Fuks, Leo (Lajb)

Geb. 29.12.1908 in Kalisz (Polen, bei Łodz), gest. 1990 in Harfsen (Niederlande).

 

F. wuchs in einer orthodoxen Familie auf: die Familiensprache war Jiddisch, Zweitsprache war Polnisch. Daneben lernte er seit seinem 3. Lebensjahr mit dem Vater, einem Rabbiner, Hebräisch. Deutsch kam später auf der Schule hinzu. Zur Rabbiner-Ausbildung wurde er von der Familie nach Warschau geschickt, wo er sich aber der Religion entfremdete, sozialistisch und zionistisch engagierte und die Ausbildung nicht abschloß. 1926 machte er ein Lehrerexamen für Hebräisch und unterrichtete in Kalisz. Unter dem Eindruck der Pogrome bereitete er sich in einer zionistischen Organisation auf die Auswanderung nach Palästina vor, erhielt aber kein Visum. Nicht zuletzt, um der Einberufung zum polnischen Militär zu entkommen, wanderte er 1930 nach Frankreich aus, wo er von Gelegenheitsarbeiten lebte, später nach Belgien und schließlich 1933 nach Portugal. Zwischendurch arbeitete er immer wieder auch als Hebräisch-Lehrer in jüdischen Gemeinden. 1938 wurde er in Portugal vorübergehend interniert und floh daraufhin in die Niederlande, wo er zunächst illegal lebte (aber geduldet bzw. mit Unterstützung der lokalen Behörden). In Amsterdam unterrichtete er Jiddisch und Hebräisch im Rahmen einer jüdischen Arbeiterorganisation (Anski Gesellschaft). Als die Niederlande von den Deutschen besetzt wurden, ging er in den Untergrund, wo er mit niederländischer Hilfe überleben konnte (zeitweise versteckt in einem Dorf nahe der Grenze zwischen Groningen und Emden).[1] Nach der Befreiung wurde er in den Niederlanden eingebürgert (und änderte seinen Vornamen in Leo).

Die verbleibende jüdische Gemeinde in Amsterdam beauftragte ihn, die verstreuten (z.T. von der deutschen Besatzung requirierten) jüdischen Bücher zu sichern und zu ordnen, woraus die Bibliotheca Rosenthaliania an der Amsterdamer Universität hervorging, für die er dort 1946 angestellt wurde, seit 1949 als Kurator (bis zu seinem vorzeitigen Ausscheiden aus gesundheitlichen Gründen 1971). Nachdem er 1964 an der Universität Amsterdam promoviert worden war (s. u.), lehrte er dort bis 1971 als Dozent für Jiddisch und Hebräisch.

Als er 1953 bei einem Besuch der Cambridger Universitätsbibliothek auf ein jiddisches Manuskript im dortigen Bestand der Handschriften aus der Kairoer Genizah aufmerksam wurde,[2] unternahm er eine Edition davon: »The oldest known literary documents of Yiddish literature«.[3] In der ausführlichen Einleitung diskutiert er den Status dieses »Shpilman«-Textes, den er rein formal als hebräisch transliteriertes Mittelhochdeutsch bestimmte, der für ihn aber eine spezifisch jüdische Aneignung eines damals populären epischen Stoffes zeigt. In dieser symbiotischen Spannung bestimmte er das Jiddische (hier: das Westjiddische) im deutschen sprachlichen und gesellschaftlichen Kontext, im Gegensatz zu seinem eigenen Ostjiddischen im slawischen Kontext.[4] Die Übersetzung des Textes in Bd. 2 nimmt er in Hochdeutsch vor.

Seine Dissertation galt einem altjiddischen Erbauungsbuch: »Die hebräischen und aramäischen Quellen des altjiddischen Epos Melokîm-Bûk«.[5] Er rekonstruierte die Überlieferung anhand der Zeugen aus dem 16. und 17. Jhd. (eine Handschrift und drei Drucke) dieser Umdichtung des Buchs der Könige. Diese stellte er in den kulturellen Kontext des jüdischen Lebens im späten Mittelalter, wobei er besonders die in einem solchen volkstümlichen Text zu erwartenden christlichen Elemente interpretiert. Aufgrund der formalen Analyse (bis hin in die Typographie und Orthographie) nimmt er die Herkunft des Textes aus Norditalien an, in kritischer Auseinandersetzung mit Auffassungen insbesondere von F. Falk (S. 35). Der Hauptteil des Textes analysiert als fortlaufender Kommentar das Verhältnis zur biblischen Vorlage. Daß F. seine Dissertation auf Deutsch vorlegte (obwohl er das Niederländische beherrschte), macht deutlich, daß für ihn als Jiddischsprecher Deutsch auch in seiner späteren Zeit noch die Bildungssprache war.

Zu seinen weiteren Arbeiten gehört ein großer druck- und bibliotheksgeschichtlicher Katalog (gemeinsam mit seiner Frau R. Fuks-Mansfeld) »Hebrew typography in the Northern Netherlands 1585-1815«[6] mit ausführlicher historischer Darstellung, ausgerichtet auf die intellektuellen Zentren Amsterdam, Leiden und Franeker, die mit ihren Universitäten auch größere jüdische Gemeinden (und Drucker!) hatten. Teilweise gemeinsam mit seiner Frau Renate gab er weitere altjiddische Texte heraus und erstellte mehrere Kataloge zu Ausstellungen zur Geschichte der Juden in den Niederlanden. U. a. betreute er auch den Nachlass von F. Falk, dessen textkritische Ausgabe des Schmuelbuchs er 1961 publizierte (s. bei diesem). Seine Frau Renate gab schließlich eine Sammlung seiner Kleinen Schriften heraus: »Aspects of Jewish life in the Netherlands: a selection from the writings of Leo Fuks«,[7] in denen F. die politisch-kulturellen Verhältnisse kommentiert – im historischen Rückblick immer auch als Spiegel seiner eigenen Biographie: von den engen Verbindungen nach Portugal (mit einer entsprechenden Gemeinde in Amsterdam) wie nach Osteuropa, wo die Schoah den Fluchtpunkt bildet. Sprachwissenschaftlich einschlägig sind darin kleinere namenkundliche Beiträge, die er in diesem Rahmen verfaßt hat.

Seine umfangreiche eigene Bibliothek vermachte er der Bibliothek in Franeker als Dank für die dort geleistete Unterstützung gegenüber den Juden zur Zeit der deutschen Besatzung (und wohl auch ihm persönlich gegenüber).

Q: E/J; Bibliographie und Biographie von Renate Fuks-Mansfeld als Einleitung in dem o.g. Band von 1995.



[1] S. seine biographische Anmerkung in der Ausgabe 1957, Bd. 1: 27*.

[2] Zu diesem Genizah-Bestand, s. hier bei Kahle.

[3] 2 Bde, Leiden: Brill 1957.

[4] Die Edition selbst ist von der Kritik als unzureichend und fehlerhaft moniert worden – bei aller Anerkennung von F.s Pionierleistung. Sie ist jetzt durch die neue Ausgabe von P. F. Ganz u. a. (1964) ersetzt, s. dazu bei W. Schwarz, der daran mitgearbeitet hat.

[5] Assen: van Gorcum 1964.

[6] 2 Bde, Leiden: Brill 1984.

[7] Assen: van Gorcum 1995.