Matthias Schwartz: ZUKUNFTSUTOPIEN UND WELTRAUMTRÄUME. Sozialistische Science-Fiction-Filme aus dem Osten Europas

Wenn die 67. Internationalen Filmfestspiele Berlin dieses Jahr ihre Retrospektive unter dem Titel »Future Imperfect« dem Science-Fiction-Film widmen, dann lässt sich dies auch als ein Beitrag zum anstehenden 100. Jahrestag der Oktoberrevolution sehen. Denn schaut man sich die auf der Berlinale präsentierten Filme aus dem sozialistischen Osten Europas heute an, dann ist das auch – wie Boris Groys in Hinsicht auf unsere »postkommunistische Situation« schreibt – ein Blick zurück aus einer neoliberalen Welt der »offenen, heterogenen und pluralistischen Märkte« auf das Projekt einer »universalistischen, aber geschlossenen Gemeinschaft«, die noch lange an der Möglichkeit einer »perfekten Zukunft« festhielt.
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DER FRAGEBOGEN: Wir fragen, Stefan Willer antwortet

Der Proust’sche Fragebogen dient traditionell dazu sich kennenzulernen, sei es in einem französischen Salon, wo er einst entstand, sei es auf der letzten Seite eines deutschen Magazins. Wir haben unseren eigenen Fragebogen für den ZfL-Blog entworfen. Hier antwortet jetzt Stefan Willer, einer der beiden Vizedirektoren des ZfL und Professor für Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin.
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Claude Haas: VERSTÖRUNGEN. Neue Publikationen zum Fall Hans Robert Jauß

Hauptsturmführer und Ordensträger

Zu leugnen gibt es schon seit über zwanzig Jahren nichts mehr. Hans Robert Jauß, der vielleicht bedeutendste, ganz sicher aber der wirkmächtigste deutsche Romanist nach 1945 war ein hoch dekoriertes Mitglied der Waffen-SS. Im Auftrag der Universität Konstanz, zu deren Gründungsprofessoren Jauß 1966 gehörte, hat der Potsdamer Militärhistoriker Jens Westemeier vor einigen Monaten eine umfassend dokumentierte Studie über seine Nazikarriere, seine Gefangenschaft und seinen späteren Umgang mit der eigenen Vergangenheit nach 1945 vorgelegt (Hans Robert Jauß. Jugend, Krieg und Internierung, Konstanz University Press, 2016). Jauß’ SS-Biographie ist nun also geradezu amtlich. „Claude Haas: VERSTÖRUNGEN. Neue Publikationen zum Fall Hans Robert Jauß“ weiterlesen

Der neue ZfL BLOG

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde des ZfL,

wir freuen uns, Ihnen unseren neuen ZfL BLOG präsentieren zu können. Wir versprechen uns von dem Medium des Blogs, das in den Geisteswissenschaften nach wie vor keinen ganz einfachen Stand hat, vor allem eine größere Dynamik und mehr Flexibilität, auf aktuelle Fragen und Probleme zu reagieren. Zusätzlich bietet er die Möglichkeit, mit Ihnen, der Öffentlichkeit, ins Gespräch zu kommen. Außerdem unterstützt das ZfL als Unterzeichner der Berlin Declaration on Open Access to Knowledge in the Sciences and Humanities den freien Zugang zu öffentlich finanzierten Forschungsergebnissen im Internet, weshalb wir Ihnen auf diesem Wege auch Einblicke in unsere Projektarbeit geben möchten.

Die Beiträge, die wir in Zukunft in etwa wöchentlich posten, stammen von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des ZfL sowie von unseren Gästen und Kollegen aus aller Welt. Die Rubrik AD HOC reagiert auf aktuelle Fragen; EINBLICK versammelt Beiträge aus laufenden Forschungsprojekten; LEKTÜREN liefern genau das; SAG MAL! präsentiert die Menschen, die hinter der Forschung stecken. Außerdem können Sie hier auch Beiträge zu unseren JAHRESTHEMEN finden; 2016/17 beschäftigen wir uns mit „Realismus“ (hierzu die bereits veröffentlichten Lektüren von Natalie Moser und Ulrich Plass), 2017/18 gilt unser Interesse „Diversität“.

Zum Auftakt erzählt Wolfgang Schivelbusch, Senior Fellow des ZfL, von einem eigenen Satz, den er nicht veröffentlichen durfte und den Sie nun hier nachlesen können. Die Direktorin Eva Geulen denkt über die Streit(un)lust in den Geisteswissenschaften nach. Viel Spaß!

 

VORGESCHLAGENE ZITIERWEISE: Der neue ZfL Blog, in: ZfL BLOG, 24.1.2017, [https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2017/01/24/der-neue-zfl-blog/].
DOI: https://doi.org/10.13151/zfl-blog/20170124-03

Wolfgang Schivelbusch: DER WICHTIGSTE SATZ, DER MIR JE GESTRICHEN WURDE

Auf der Titelseite der Ausgabe vom 17. April 2003 illustrierte die New York Times den amerikanischen Blitzsieg im Irak mit diesem Bild amerikanischer Generäle an Saddam Husseins Prunktisch (Foto: David K. Dismukes). Da damals gerade die amerikanische Ausgabe meines Buches über die Kultur der Niederlage erschienen war, kam vom Redakteur der Op-Ed-Seite der Times die Einladung, einen Beitrag zum Thema des Sieges im Irak zu schreiben. Mir schien das Bild der zur Gruppenaufnahme an Saddam Husseins Prunktisch versammelten Generäle kommentierenswert; und zwar als Teil der ikonographischen Tradition der Unterzeichnung von Kapitulations- und Friedensverträgen in den letzten zwei Jahrhunderten. Zu dieser Tradition gehörten der Wiener Kongress, die Unterzeichnung der Kapitulation der amerikanischen Südstaaten, der Versailler Vertrag, und zuletzt die deutsche und die japanische Kapitulation 1945.

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Eva Geulen: STREIT UND SPIEL

Von den vielen Vorwürfen an die Adresse der Geisteswissenschaften trifft derjenige ins Herz unserer Fächer, der behauptet, dass wir das Streiten verlernt haben und diskussionsmüde den Konsens suchen. Wenn die Diagnose wirklich zutreffen sollte, dass wir uns nicht mehr streiten können oder wollen, dann wäre das in der Tat ein Armutszeugnis. Denn wir sind es doch, die sich Kritik und Dissens auf die Fahnen geschrieben haben. Deshalb und weil es in unseren Kontexten zwar gute und weniger gute Argumente gibt, aber keinen letzten Beweis, ist der Streit so etwas wie unser Lebenselixier. „Eva Geulen: STREIT UND SPIEL“ weiterlesen

Falko Schmieder: MEHR DISSONANZ WAGEN!

Eine Rezension zu Hartmut Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Suhrkamp Verlag Berlin 2016

Es kommt selten vor, dass eine soziologische Habilitationsschrift zum Bestseller wird. Hartmut Rosa ist das 2005 mit seinem Buch zur Beschleunigung gelungen. Getragen vom Erfolg hat der Autor nachgelegt. Mit dem schnell zum Label gewordenen Begriff der Beschleunigung im Titel erschienen zwei weitere Bücher, in denen er seine Kritik an der kapitalistischen Steigerungsmoderne vertieft und popularisiert hat. Rosa führt damit die kritische Theorie vom ätherischen Abweg der Verständigungstheorie wieder auf ihr ursprüngliches Kernprojekt der Auseinandersetzung mit den Grundstrukturen und Triebkräften der modernen Gesellschaft zurück. In zeitgemäßen Analysen erneuert er die gern verdrängte Einsicht, dass die entfesselte, einer blinden Wachstumslogik folgende Dynamik alles andere als zukunftsfähig ist.

Nach drei Monographien zu Pathologien des Kapitalismus macht sich Rosa nun in seinem neuen Buch daran, seiner Kritik ein normatives Fundament zu verschaffen. „Falko Schmieder: MEHR DISSONANZ WAGEN!“ weiterlesen

Ulrich Plass: REALISMUS FÜR DAS 21. JAHRHUNDERT (II): Serielle Gewalt in Roberto Bolaños Roman 2666

„Die Tote erschien auf einer kleinen Brache in der Siedlung Las Flores. Sie trug ein weißes, langärmeliges Hemd und einen gelben, knielangen Rock höherer Konfektionsgröße.“[1]

So beginnt der „Teil von den Verbrechen“ in Roberto Bolaños Roman 2666. Hinter diesen zwei sachlich klingenden Sätzen verbirgt sich eine ambitionierte realistische Poetik. Durch den unbeirrbaren Blick auf eine Serie von horrenden Gewaltverbrechen soll die komplexe Struktur einer transnationalen, spätkapitalistischen Wirklichkeit ans Licht gebracht werden, die sich einer rein gegenständlichen Anschauung entzieht und bestenfalls in Metaphern von Kreisläufen, Transaktionen und Kapitalflüssen (136) vorstellbar ist. Die realistische Leistung des „Teils von den Verbrechen“ besteht nun darin, dass eine Schicht dieser sozio-ökonomischen Wirklichkeit, die in beinahe sofortige Vergessenheit zu fallen droht (688), den Leser_innen immer wieder aufs Neue interessant gemacht wird – und zwar allein durch ihre minimal variierte Wiederholung.
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Natalie Moser: REALISMUS FÜR DAS 21. JAHRHUNDERT (I): Die Wiederkehr der Dorfgeschichte

Aktualität und Relevanz realistischer Schreibverfahren in der Gegenwartsliteratur anhand einer Dorfgeschichte zu veranschaulichen, klingt erst einmal nicht nach einer guten Idee. Gerade die Dorfgeschichten haben der realistischen Prosa des 19. Jahrhunderts den Ruf eingetragen, altbacken, naiv und kitschig zu sein. Schauplatz der Handlungen ist üblicherweise ein bäuerlich-dörfliches Milieu, das detailreich und mit Rückgriff auf Oppositionspaare wie gut vs. böse beschrieben wird. Als formprägend gelten die heute kaum noch bekannten Schwarzwälder Dorfgeschichten Berthold Auerbachs (1843 ff.). Aber die Literaturwissenschaft hat gerade dieses Thema jüngst neu für sich entdeckt.[1]
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Eva Geulen: REALISMUS REVISITED

Während sich unsere Wirklichkeit medial, technologisch und politisch rasant wandelt, macht Realismus wieder von sich reden. In der Philosophie liest man vom spekulativen oder neuen Realismus, Politiker werben um mehr Realismus, in den Sozialwissenschaften beginnt man am Primat des Konstruktivismus zu zweifeln, und auch in der Literatur hat Realismus Konjunktur. Das Semesterthema des ZfL widmet sich der Rückkehr des Realismus und seinen unterschiedlichen Manifestationen. Dabei geht es uns nicht nur um Sichtung und Analyse der aktuellen Realismus-Diskurse, sondern auch um ihre mehr oder weniger latenten Vorgeschichten. In ihnen spielt der künstlerische Realismus seit langem eine besondere Rolle.
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