Alexandra Heimes: DER EINSATZ NEUER TECHNOLOGIEN IM HUMANITARISMUS UND DIE ›FRAGE NACH DER MORAL‹

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben rasante technologische Entwicklungen die Seefahrt insgesamt und damit auch das nautische Rettungswesen von Grund auf verändert. Mit motorisierten Booten, Funk- und Radartechnik – und später Rettungsflugzeugen – wird es möglich, neue notlindernde und lebensrettende Praktiken zu etablieren, die Effizienz der Maßnahmen zu steigern und zudem den geografischen Radius der Einsätze erheblich auszuweiten. Weniger offenkundig ist, in welcher Weise diese Entwicklungen auf das Gefüge der Normen und Werte zurückwirken, das der humanitären Seenotrettung zugrunde liegt, und inwiefern sie daran beteiligt sind, den Schiffbruch als einen bestimmten »Situationstyp« zu definieren.[1] Diese Aspekte bilden den Ausgangspunkt meiner Untersuchung, die der Frage nachgeht, wie sich die Herausbildung von Normen und normsetzenden Paradigmen alternativ zu den großen Erzählungen des Humanitarismus beschreiben lässt. „Alexandra Heimes: DER EINSATZ NEUER TECHNOLOGIEN IM HUMANITARISMUS UND DIE ›FRAGE NACH DER MORAL‹“ weiterlesen

Henning Trüper: SEENOT IM ARCHIPEL DER HUMANITARISMEN

Als 2008 die Finanzkrise eskalierte, vollzog sich eine irritierende Veränderung in der Semantik von ›Rettung‹. Während nämlich einerseits unbedingte Imperative der Rettung finanzieller und fiskalischer Institutionen aufkamen, whatever it takes, wurde andererseits der Rettungsimperativ für Menschen in Seenot immer problematischer. Insbesondere im Kontext von Flucht und Migration im Mittelmeerraum begannen Regierungen, humanitäre Rettungsbemühungen zu kriminalisieren, während sie doch zugleich unterlassene Hilfeleistungen ebenfalls strafrechtlich verfolgten. Über lange Zeit hatten Schiffbrüchige im öffentlichen Diskurs die Stelle als privilegierte Zielobjekte unbedingter Rettungsimperative besetzt, die sogar das Risiko eines Selbstopfers in Kauf zu nehmen verlangten. Nun schien es, als sei diese Stelle umbesetzt worden. Dass eine solche Umbesetzung aber überhaupt möglich war, warf nicht zuletzt die Frage danach auf, wie es eigentlich um die Geschichtlichkeit derartiger Imperative insgesamt bestellt ist. Diesem Problemzusammenhang geht das Forschungsprojekt »Archipelagische Imperative. Schiffbruch und Lebensrettung in europäischen Gesellschaften seit 1800« nach, indem es unter anderem untersucht, wie die Schiffbrüchigen überhaupt dazu gekommen waren, die fragliche Stelle zu besetzen. „Henning Trüper: SEENOT IM ARCHIPEL DER HUMANITARISMEN“ weiterlesen

Lukas Schemper: HUMANITARISMUS UND SOUVERÄNITÄT

Die Rettung von Menschenleben ist eine von vielen Aktivitäten, deren Regelung souveränen Staaten obliegt. Historisch betrachtet gibt es verschiedene Definitionen von Souveränität. Seit dem 19. Jahrhundert bedeutet sie jedoch überwiegend die Kontrolle von Grenzen und die Verabschiedung von Gesetzen innerhalb derselben. So lassen sich die vielfältigen Verbindungen des Begriffs der Souveränität mit der Geschichte des Schiffbruchs und der Lebensrettung im 19. Jahrhundert auf zweierlei Weise untersuchen: Erstens ausgehend von der Souveränität als einer Form der rechtlichen, (bio)politischen, diplomatischen, territorialen bzw. maritimen Kontrolle, die zunehmend mit humanitären, kommerziellen und sicherheitspolitischen Fragen verknüpft wurde; zweitens anhand der Figur des Souveräns, der als Schirmherr und Förderer humanitärer Initiativen, einschließlich der Seenotrettungsgesellschaften, fungierte und für die Entstehung und das Selbstverständnis dieser Gesellschaften von zentraler Bedeutung war. „Lukas Schemper: HUMANITARISMUS UND SOUVERÄNITÄT“ weiterlesen

Daniel Weidner: TRANSITIONS, THRESHOLDS, TRADITIONS. Hans Blumenberg and Historical Thought

Like identical twins, philosophy and history seem to be tied together in an uneasy way. On the one hand, philosophy is very concerned to engage with the history of philosophy. There are not many other branches of knowledge so preoccupied with continually referring back to their own ‘classics’. On the other hand, quite a few of these classical authors did not hold history in high esteem. Aristotle, as is well known, even preferred drama to history, arguing that the latter merely concerned contingent issues. The marriage between history and philosophy quite often results in monsters like Hegelian philosophy of history: grand narratives that are all too easy to criticize and to debunk. „Daniel Weidner: TRANSITIONS, THRESHOLDS, TRADITIONS. Hans Blumenberg and Historical Thought“ weiterlesen

Matthias Schwartz: GESCHICHTE ALS UNUNTERBROCHENE PERFORMANCE: Das Queer Archives Institute

Zum 50. Jahrestag des Stonewall-Aufstands berichteten die Medien einmal mehr über die angespannten und vielerorts sich sogar verschlechternden rechtlichen und sozialen Lebensumstände queerer Menschen in Osteuropa. Regelmäßig gibt es Meldungen von LGBTIQ*-Demonstrationen in den Hauptstädten der Ukraine, Russlands, Polens oder Georgiens, die von nationalistischen und religiösen Gruppierungen attackiert werden oder nur mithilfe von massivem Polizeieinsatz durchgeführt werden können – wenn sie nicht gleich ganz verboten werden. Der Aufstieg rechtspopulistischer Bewegungen und autoritärer Staatsführer, die ihre gottgewollte Ordnung und nationale Tradition durch ein aus dem Westen eindringendes Sodom und Gomorrha bedroht sehen, verschärft diese Lage noch. „Matthias Schwartz: GESCHICHTE ALS UNUNTERBROCHENE PERFORMANCE: Das Queer Archives Institute“ weiterlesen