Maud Meyzaud: AL-ANDALUS – EINE GEGENWELT INMITTEN EUROPAS

I.

Noch in den 1980er Jahren stand in französischen Geschichtslehrbüchern dieser Satz: »732: Charles Martel arrête les Arabes à Poitiers.« Wie konnte ein Mann namens Charles Martel im Alleingang so viele Menschen auf­halten, mag sich so manches Schulkind gefragt haben. Und was machten die sogenannten Araber überhaupt im tiefen französischen Westen? Der Satz über die Schlacht von Poitiers fand im 19. Jahrhundert Eingang in Unterrichtsmaterialien, als die Kolonialpolitik Frankreichs sich auf den Maghreb ausdehnte. Er brachte die mutmaßliche Überlegenheit des Westens über die vermeintlich rückständige islamische Welt zum Ausdruck und fügte sich somit nahtlos in jenen Orient-Diskurs ein, den Edward Said in seinem grundlegenden Werk Orientalism analysiert hat. So erklärt sich auch, dass der Satz in Algerien noch während des Unabhängigkeitskriegs 1954–­1962 von den einheimischen Kindern auswendig gelernt werden musste.[1] „Maud Meyzaud: AL-ANDALUS – EINE GEGENWELT INMITTEN EUROPAS“ weiterlesen

Lukas Schemper: SCHIFFBRUCH DER ZIVILISATION. Überlegungen zu einer Metapher

Anfang Dezember 2021 besuchte Papst Franziskus auf seiner Griechenlandreise auch die Insel Lesbos und das dortige Flüchtlingslager Kara Tepe, wo zu der Zeit etwa 2.500 Menschen lebten.[1] Kara Tepe ist das Nachfolgelager des 2020 abgebrannten Lagers Moria, wo der Papst schon 2016 war und dessen Überfüllung und hygienische Zustände das Versagen der europäischen Flüchtlingspolitik drastisch vor Augen geführt hatten. Auch wenn sich die humanitären Zustände im Vergleich zu damals gebessert haben und bedeutend weniger Menschen in Kara Tepe untergebracht sind als im Vorgängerlager, so hat sich doch zwischen den beiden Papst-Besuchen in der europäischen Migrationspolitik nichts grundsätzlich bewegt. Im Gegenteil. Wurden einzelne europäische Staaten damals noch von den Regierungen anderer Staaten sowie der Europäischen Kommission für das Errichten von Zäunen zur Abwehr von Migranten kritisiert, so haben mittlerweile mehrere Mitgliedsstaaten die EU gebeten, sie eben dabei zu unterstützten.[2] Zudem kommt es wieder vermehrt zu Tragödien durch das Kentern von Flüchtlingsbooten. Mindestens 1.500 Menschen starben so 2021 allein im Mittelmeer.[3] „Lukas Schemper: SCHIFFBRUCH DER ZIVILISATION. Überlegungen zu einer Metapher“ weiterlesen