Form Follows Flower bildet den Auftakt einer Reihe von Ausstellungen, mit denen das Kunstgewerbemuseum in Berlin aktuell sein 150-jähriges Jubiläum feiert und auf seine Anfänge zurückblickt. Im Zentrum der Schau steht das Reich der Flora, deren Formenvielfalt das erschöpfte Kunstgewerbe um 1900 zum Blühen bringen sollte. Der Ausstellungstitel als Paraphrase des wegweisenden Gestaltungsleitsatzes »form follows function« verweist auf die Pflanzenform im Dienste der Kunstform. Die Aufrufung der Blume in diesem Zusammenhang mutet allerdings ein wenig windschief an, denn mit deren kultur- und geistesgeschichtlichen Implikationen – wie wir sie etwa aus der Frühen Neuzeit mit der ikonografisch gepflegten Rose, Lilie oder Nelke, der Romantik mit ihrer symbolischen Überhöhung der blauen Blume oder der heutigen Gartenkultur mit ihren gezüchteten Zierpflanzen kennen – hat die Ausstellung wenig zu tun. Die Exponate verdeutlichen vielmehr, wie das Register der Pflanze zum Zweck der Kunsterneuerung gezogen wurde. Gewächse, die sich hierzu eigneten waren Mutterkraut und Silberdistel, Stinkende Nieswurz und Feuersalbei, Frauenflachs und Glockenblume, glattrandige und gezackte Blätter, Hagebutten und Akanthus und viele mehr: eine Feier der einfachen Form.
Kategorie: EINBLICK
Jacob Taubes: APOCALYPSE AND POLITICS. Their interaction in transitional communities
Das undatierte englischsprachige Manuskript von »Apocalypse and Politics« von Jacob Taubes (1923-1987) stammt vermutlich aus den späten 1960er Jahren. In diesem in seiner Originalfassung hier erstmals veröffentlichten Text stellt der Berliner Religionsphilosoph Überlegungen zur Vergleichbarkeit messianischer Kulte und der Entwicklung nationalistischer Befreiungsbewegungen in Afrika und Asien an und plädiert dabei für einen religionssoziologischen Ansatz. Die deutsche Fassung ist nachzulesen in dem eben erschienenen Band Jacob Taubes, Apokalypse und Politik. Aufsätze, Kritiken und kleinere Schriften, hg. v. Herbert Kopp-Oberstebrink und Martin Treml unter Mitarbeit von Theresia Heuer und Anja Schipke, Paderborn: Fink Verlag 2017, S. 231-325. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung durch Ethan und Tania Taubes (New York). „Jacob Taubes: APOCALYPSE AND POLITICS. Their interaction in transitional communities“ weiterlesen
Daniel Weidner: »DIE UNFÄHIGKEIT ZU TRAUERN« – Geschichte einer Abwehr?
Liest man heute, fünfzig Jahre nach der Erstveröffentlichung, Alexander und Margarete Mitscherlichs Die Unfähigkeit zu trauern, so kann man überrascht werden. Das Buch ist ein Klassiker und sein Titel zum Schlagwort geworden: für die Verzögerung der Vergangenheitsbewältigung, für die Verspätung, mit der sich die Deutschen mit den Verbrechen des Nationalsozialismus auseinandergesetzt haben, für den Unwillen, deren Opfer anzuerkennen. Im Buch liest sich das allerdings etwas anders, denn dass die Deutschen nicht getrauert hätten, bezieht sich nicht primär – wie wir wohl erwarten würden – auf die Opfer: „Daniel Weidner: »DIE UNFÄHIGKEIT ZU TRAUERN« – Geschichte einer Abwehr?“ weiterlesen
Daniel Weidner: DIE WELT IST NICHT GENUG. Ottmar Ette über die »Literaturen der Welt«
›Weltliteratur‹ ist heute in aller Munde. Längst bezeichnet der Ausdruck nicht mehr einfach eine Menge von Texten, sondern steht für einen Diskurs über das Selbstverständnis der Literaturwissenschaft jenseits der Nationalphilologien. Vor allem im angloamerikanischen Raum wird world literature heiß diskutiert, und inzwischen nimmt die Diskussion auch in Deutschland Fahrt auf: Das nächste DFG-Symposium der Literaturwissenschaft, Flaggschiff der Disziplin, wird den Titel »Vergleichende Weltliteraturen« tragen. Verhandelt werden dabei wohl kaum die Literaturen verschiedener Welten – Romane der Marsianer … –, auch wird hoffentlich nicht einfach das Thema über den komparatistischen Leisten gezogen, sondern es werden verschiedene Konzepte und Diskurse der Weltliteratur verglichen werden. Ein solches Konzept entwirft auch Ottmar Ettes jüngster Band WeltFraktale. Wege durch die Literaturen der Welt (Stuttgart: Metzler, 2017). „Daniel Weidner: DIE WELT IST NICHT GENUG. Ottmar Ette über die »Literaturen der Welt«“ weiterlesen
Moritz Neuffer: »GEGEN DIESES 68«. Zu Robert Stockhammer: 1967. Pop, Grammatologie und Politik
1967 veröffentlicht die im New Yorker Chelsea Hotel lebende Schriftstellerin Valerie Solanas die ersten Mimeographien ihres Manifests zur Gründung der Society for Cutting Up Men. Darin ruft Solanas dazu auf, »die Regierung zu stürzen, das Geldsystem abzuschaffen, umfassende Automation einzuführen und das männliche Geschlecht zu vernichten«.[1] Ihre radikale Kritik patriarchaler Verhältnisse verbindet sie mit Ankündigungen von Arbeitssabotage (»SCUM wird die verschiedensten Jobs annehmen und nicht arbeiten«) bis Mord (»SCUM wird alle Männer töten, die nicht Mitglieder der Männerhilfstruppe sind«).[2] Gefragt, wie ernst sie das meine, antwortet Solanas einem Journalisten, sie sei »dead serious«.[3]
Der literaturwissenschaftlichen Diskussion gibt diese Antwort die Erörterung der Gattungsfrage auf: „Moritz Neuffer: »GEGEN DIESES 68«. Zu Robert Stockhammer: 1967. Pop, Grammatologie und Politik“ weiterlesen
EIN FORSCHUNGSPROJEKT ZU ERNST JÜNGERS BRIEFARCHIV. Detlev Schöttker im Gespräch
Detlev Schöttker antwortet auf Fragen von Alexander Pschera, Publizist und Vorsitzender der Ernst und Friedrich Georg Jünger Gesellschaft e.V.. Das Interview erschien im April 2017 auf der Webseite der Ernst und Friedrich Jünger Gesellschaft e.V.
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Eva Axer: WAS HEISST EINHEIT IN DER MANNIGFALTIGKEIT? Johann Gottfried Herders Kulturtheorie
»Erstaunen muß man über die Vielheit der Abänderungen, die auf unsrer Erde wirklich sind, noch mehr erstaunen aber über die Einheit, der diese unbegreifliche Mannigfaltigkeit dienet. […] Ich wünschte, mein Buch erreichte nur einige Striche zur Darstellung dieser großen Aussicht«.[1]
Georg Toepfer: BIODIVERSITÄT
›Biodiversität‹ ist ein Schlüsselbegriff unserer Zeit, auf dem Forschungsprogramme, ethische Debatten zum Mensch-Natur-Verhältnis und politische Aktivitäten basieren. In der öffentlichen und politischen Kommunikation funktioniert der Begriff offenbar gut. Er transportiert Achtung und Verantwortung für die Natur, Toleranz gegenüber dem Fremden, Freude an der Heterogenität und Mannigfaltigkeit. Biodiversität steht parallel zur kulturellen Vielfalt und passt in unsere durch Pluralismen geprägte Gegenwart. Denn der Begriff drückt nicht nur Enthierarchisierung und Pluralisierung der Perspektiven aus, Verzicht auf eine übergreifende, durchgängig gültige Ordnung und den Eigensinn und Eigenwert jedes einzelnen, auch nichtmenschlichen Wesens. Er steht auch für das Zusammenführen von wissenschaftlichen mit ethischen, ästhetischen und ökonomischen Aspekten eines Gegenstands und für die Hoffnung auf den letztlich harmonischen Zusammenklang des vielstimmigen Mit- und Gegeneinanders. „Georg Toepfer: BIODIVERSITÄT“ weiterlesen
Ernst Müller/Falko Schmieder: DIVERSITÄT, begriffsgeschichtlich
Bei ›Diversität‹ handelt es sich um einen sehr jungen politischen Schlüsselbegriff. Parallelausdrücke wie Verschiedenheit, Vielfalt, Vielheit, Mannigfaltigkeit sowie die Komplementärbegriffe Einheit, Ganzheit, Allgemeinheit verweisen zwar auf ein Wortfeld mit weit längerer Vorgeschichte. Doch eine Begriffsgeschichte, der es um die soziale Reichweite von Begriffen und ihre kommunikativen Funktionen geht, interessiert sich besonders für diskursive Knotenpunkte und Zäsuren, an denen sich bislang weitgehend getrennte Begriffsstränge vereinigen oder wo durch neue semantische Prägungen ältere Bedeutungen aufgesogen, umgeschmolzen und neu perspektiviert werden. „Ernst Müller/Falko Schmieder: DIVERSITÄT, begriffsgeschichtlich“ weiterlesen