Eine Rezension zu Hartmut Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Suhrkamp Verlag Berlin 2016
Es kommt selten vor, dass eine soziologische Habilitationsschrift zum Bestseller wird. Hartmut Rosa ist das 2005 mit seinem Buch zur Beschleunigung gelungen. Getragen vom Erfolg hat der Autor nachgelegt. Mit dem schnell zum Label gewordenen Begriff der Beschleunigung im Titel erschienen zwei weitere Bücher, in denen er seine Kritik an der kapitalistischen Steigerungsmoderne vertieft und popularisiert hat. Rosa führt damit die kritische Theorie vom ätherischen Abweg der Verständigungstheorie wieder auf ihr ursprüngliches Kernprojekt der Auseinandersetzung mit den Grundstrukturen und Triebkräften der modernen Gesellschaft zurück. In zeitgemäßen Analysen erneuert er die gern verdrängte Einsicht, dass die entfesselte, einer blinden Wachstumslogik folgende Dynamik alles andere als zukunftsfähig ist.
Nach drei Monographien zu Pathologien des Kapitalismus macht sich Rosa nun in seinem neuen Buch daran, seiner Kritik ein normatives Fundament zu verschaffen. „Wenn Beschleunigung das Problem ist“, so der Eröffnungssatz, „dann ist Resonanz vielleicht die Lösung“ (13). Das Buch steht im weiteren Rahmen des an der Friedrich-Schiller-Universität Jena eingerichteten Kollegs ,Postwachstumsgesellschaften‘, das Formen gesellschaftlichen Zusammenlebens jenseits der Verwertungslogik erkundet. Der Verlag preist das Buch als „Gründungsdokument einer Soziologie des guten Lebens“ an. Der Erfolg des über 800 Seiten starken Wälzers scheint durchschlagend zu sein. Noch im Jahr der Erstveröffentlichung erscheint die gebundene Ausgabe schon in der dritten Auflage; weitere werden folgen. Zum Erfolg trägt sicher bei, dass Rosa Soziologie als Passion und Mission versteht. Sie soll wieder gesellschaftsrelevant und zu einem Faktor emanzipatorischer Veränderung werden. Dem korrespondiert eine flüssige Schreibweise, die zuweilen etwas überschwänglich-mitreißendes hat. Zur Illustration seiner Resonanztheorie verweist Rosa auf ein youtube-Video. Es zeigt 32 Metronome, die zunächst ungleichzeitig pendeln, sich dann aber sukzessive aufeinander einschwingen, bis sich schließlich alle im Gleichtakt bewegen. Rosa war von diesem Arrangement so fasziniert, dass er es nachgebaut hat. Den Vertretern der ersten Generation der kritischen Theorie, die vor den Nazis ins Exil geflohen waren, wäre das Motiv wohl eher als Horrorbild denn als Modell gelingender Sozialbeziehungen erschienen. Auch weil der Resonanzbegriff Titeln wie Ohne Leitbild, Dissonanzen oder Negative Dialektik scharf kontrastiert, war die Erwartung groß, ob das Buch den Anspruch einer Erneuerung der kritischen Theorie einlösen kann.
Rosa hat für seine Resonanztheorie eine Menge an Literatur aus allen möglichen Disziplinen (z.B. Spiegelneuronenforschung, Persönlichkeitspsychologie, Glücksforschung, Empathieforschung) verarbeitet. Im Ausgang von anthropologischen Grundtatbeständen wie Atmen/Essen/Trinken, Gehen/Stehen/Schlafen oder Lachen/Weinen/Lieben öffnet sich das Buch allgemeineren gesellschaftlichen Dimensionen wie Familie/Freundschaft/Politik, Arbeit/Schule/Sport sowie Religion/Natur/Kunst/Geschichte, um dann über eine resonanztheoretische Rekonstruktion der Moderne in eine kritische Theorie der Weltbeziehung zu münden. Ein riskanter, aufs große Ganze zielender Ansatz. In Bezug auf die Binnengeschichte der kritischen Theorie beansprucht Rosa, die bisherigen Formen (Entfremdungs-, Verdinglichungs-, Verständigungs- und Anerkennungstheorie) aus ihren Vereinseitigungen zu befreien und ihnen im Rahmen seiner Resonanztheorie ein neues Fundament und kritisches Profil zu verschaffen. Rosa spricht dann auch selbst von Monismus (336), und er bemüht an einer Scharnierstelle des Buchs (514) Hegels Aufhebungsfigur, um seinen universalen Anspruch zu verdeutlichen. Lässt sich dieser Anspruch auf der Basis eines einzigen Grundbegriffs einlösen?
Rosa setzt zunächst an der physikalisch-musikalischen Kernbedeutung von Resonanz an, die er dann nach verschiedenen Seiten ausdifferenziert. Er kann dabei anknüpfen an eine erstaunliche Vielzahl von Arbeiten unterschiedlicher Disziplinen, die sich den Resonanzbegriff für ihre jeweiligen Zwecke angeeignet haben. Am Ende des anthropologischen Teils, nach etwas mehr als einem Drittel des Buches, hat Rosa dann alle Bausteine für seine Definition von Resonanz zusammen: „Resonanz ist eine durch Affizierung und Emotion, intrinsisches Interesse und Selbstwirksamkeitserwartung gebildete Form der Weltbeziehung, in der sich Subjekt und Welt gegenseitig berühren und zugleich transformieren. Resonanz ist keine Echo-, sondern eine Antwortbeziehung; sie setzt voraus, dass beide Seiten mit eigener Stimme sprechen, und dies ist nur dort möglich, wo starke Wertungen berührt werden. Resonanz impliziert ein Moment konstitutiver Unverfügbarkeit“ (298).
Rosas Bestimmung von Resonanz ist damit so angelegt, dass sie noch den absoluten Gegensinn der physikalischen Kernbedeutung zu integrieren versucht: Autonomie, Differenz und reflektierter Widerspruch sollen konstitutiv für Resonanzverhältnisse sein. In Rosas Lektüren funktioniert der Resonanzbegriff nach der Logik eines allgemeinen Äquivalents, in das die heterogensten Theoriesprachen übersetzt werden. Resonanztheoretisch reformuliert werden unter anderem Adornos Mimesis (53), Benjamins Aura (555), Habermas’ Verständigung (587), Latours symmetrische Anthropologie (384), Masumis Intensität (288), Simmels Assimilation (561), Webers Charisma (554) sowie das Konzept der Flow-Erfahrung (26). Bei dieser Übersetzungstätigkeit gehen oft entscheidende Differenzen verloren. In der Fülle der Zitate finden sich nicht selten schwülstige (87) oder krass irrationalistische Positionen (537), die Rosa distanzlos präsentiert. Auch kombiniert Rosa ziemlich wahllos Theorien und Autoren, die sich als Alternativen gesehen haben – Hegel und die Romantiker, Marx und Adam Müller, Adorno und Buber, Habermas und Sloterdijk stehen einträchtig nebeneinander. Der Differenzen verschleifende Zug kommt schließlich auch im Umgang mit literarischen und poetischen Quellen zum Ausdruck, den Adorno wohl banausisch genannt hätte, weil die Texte immer nur zur Illustration der Resonanztheorie dienen.
Die Überdehnung des Resonanzbegriffs zeigt sich immanent an den Grenzen verschiedener Analyseebenen und theoretischen Funktionsbestimmungen von Resonanz. An der Grenze von Anthropologie und Sozialtheorie etwa ergibt sich der Widerspruch, dass Rosa einerseits im Rekurs auf Neurologie und Säuglingsforschung Resonanz als primäres, vorreflexives Weltverhältnis bestimmt (110), andererseits aber Autonomie als Voraussetzung von Resonanz postuliert (650). Beim Übergang von der Ebene des Sozialen zur Ebene der Objektbeziehungen stellt sich die Frage, in welchem Sinne Gegenstände ,mit eigener Stimme sprechen‘ und wechselseitig antwortende und anverwandelnde Beziehungen in Gang setzen können. An der Schnittstelle zwischen deskriptiver und normativer Dimension wird fraglich, ob es nicht so etwas wie negative Resonanz geben müsste. Rosa verneint das und votiert für eine positive Bestimmung (744), die dann aber inkompatibel ist mit seinem Anspruch einer Kritik der Resonanzverhältnisse. Im ganzen Buch setzt sich Rosa viel zu schnell über Widersprüche, und zumal über die Kluft zwischen subjektiver und analytischer Bestimmung, hinweg. Was Einzelne subjektiv als resonantes Weltverhältnis erleben oder beschreiben, kann auf der Analyseebene als sentimentale Rührung, reine Echobeziehung oder als Kompensationsreaktion erscheinen. In seinem Buch Beschleunigung und Entfremdung hatte Rosa für solche Konflikte noch die Kategorie der falschen Bedürfnisse parat. Im Resonanzbuch wurde sie kommentarlos verworfen, ohne dass allerdings ein Alternativkonzept präsentiert würde. Generell laboriert die Resonanztheorie an einem konflikttheoretischen Defizit. Deutlich wird das etwa, wenn demokratische Prozesse im Paradigma von Musik und (Chor-)Gesang begriffen werden (367).
Das epistemologische Haupthindernis der Resonanztheorie besteht in den physikalistischen, präkognitivistischen Vorgaben des Modells, die dazu führen, dass inhaltliche Aspekte, solche des Sinns und Gegensinns, des Widerstreits und Widerspruchs, stark unterbelichtet bleiben und an etlichen Stellen für nachrangig oder letztlich gar bedeutungslos erklärt werden müssen (vgl. 376, 510). Die Stärke des Konzepts, dass es Kategorien des Sinns und der Identität unterläuft, ist zugleich seine Schwäche. Im Einklang mit dem physikalischen Modell, aber zum Schaden des sozialkritischen Ansatzes, überwiegt der Grundton vorbewusster Übereinstimmung, der auch die ganze Metaphorik des Buches durchzieht: das Leitbild ist der vibrierende Draht; dauernd geht es um das Bewegt-Sein, das Ergriffen-Sein, um das Bewirken und das Erreicht-Werden. Rosas Buch, das den Anspruch der kritischen Theorie erneuern will, lässt Kritik contre cœur als forciert repulsiven Beziehungsmodus erscheinen (121). Wenn Rosa sein Buch in das Plädoyer für ein garantiertes Grundeinkommen ausmünden lässt, dann engagiert er sich für ein politisches Projekt, zu dessen Begründung es keiner Resonanztheorie bedarf. Das Kapitel erscheint dann auch seltsam quer zu den weitverzweigten Darstellungen des Haupttextes. Es spricht sehr für Rosa, dass er am Schluss des Buches in die Rolle seiner Kritiker schlüpft und zentrale Einwände gegen seinen Ansatz noch einmal in komprimierter Form zu entkräften sucht. Und nach vielen hundert Seiten einräumt, dass er auf etliche Einwände „noch keine guten Antworten“ (740) habe. Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz nicht die Lösung.
VORGESCHLAGENE ZITIERWEISE: Falko Schmieder: Mehr Dissonanz wagen!, in: ZfL BLOG, 12.9.2016, [https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2016/09/12/falko-schmieder-mehr-dissonanz-wagen/].
DOI: https://doi.org/10.13151/zfl-blog/20160912-01