Dirk Naguschewski: Entwicklungshilfe 2.0? AFRIKANISCHES KINO IN BERLIN

Am letzten Tag der Veranstaltungsreihe Kizobazoba! im Berliner Humboldt Forum kam sie dann endlich, die provozierend, leicht nervös vorgetragene Frage aus dem Publikum an die südafrikanische Kino-Aktivistin Sydelle Willow Smith, wie sie sich denn damit fühle, dass sie eine Partnerschaft mit dieser doch so umstrittenen Einrichtung eingehe. Angesichts der Kontroversen um den richtigen Umgang mit geraubten Kulturgütern und so … Die Antwort war so entspannt wie souverän. Wo, wenn nicht an Orten wie diesem, ließe sich der Dialog über die komplizierten Beziehungen zwischen dem ›Globalen Norden‹ und dem ›Globalen Süden‹ besser führen? In nuce steckte in dieser Auseinandersetzung jedoch auch das Dilemma, in dem sich das afrikanische Kino seit Anbeginn befindet. Die Kunstform Film, das Kino als soziale Institution sind existenziell auf nicht unerhebliche Finanzmittel angewiesen. Wo es an Geld mangelt, hat es das Kino schwer. ›Kizobazoba‹ stammt übrigens aus dem Lingala und bedeutet so viel wie ›Mach das Beste draus!‹.

Eine Woche lang trafen sich also Vertreter*innen des Cinema Spaces Network (CSN) im Berliner Humboldt Forum.[1] Abend für Abend gab es eine Cine Lecture, in der nichtstaatliche Initiativen aus Burkina Faso, Kenia, DR Kongo, Sudan und Südafrika ihre Anstrengungen vorstellten, dem Kino in ihrem Land Raum und Publikum zu verschaffen; sie sind alle auf der Website des CSN archiviert. Im Anschluss an die Lectures wurde ein von den Aktivist*innen ausgesuchter Film gezeigt, wodurch eine Art Zufallspanorama des afrikanischen Kinos entstand. Durchgehend trat dabei die Spannung zwischen politischem Anspruch und den filmkünstlerischen Entscheidungen der hier vertretenen Regisseure zutage. Deutlich wurde bei all dem nicht zuletzt, dass die Realitäten, die unter dem Schlagwort ›Afrikanisches Kino‹ verhandelt werden, zwar extrem unterschiedlich sein können, aber alle Akteur*innen doch wie selbstverständlich daran festhalten. Dass diese Debatte nicht auf dem afrikanischen Kontinent, sondern in diesem Fall in Deutschland geführt wird, hat selbstverständlich ökonomische, aber sicherlich auch kulturhistorische Gründe. Noch immer ist es für afrikanische Kulturschaffende einfacher und kostengünstiger, sich in einer europäischen Hauptstadt zu treffen, als innerkontinental zu reisen. Außerdem sitzt im Norden auch das Gros der potenziellen Geber von Fördermitteln. Nur selten sind die staatlichen Behörden in der Lage oder auch nur willens, die Initiativen finanziell oder anderweitig zu unterstützen.

Dabei geht es jenen, die in Berlin zusammengekommen sind, gar nicht um das große Geld. Kino wird von ihnen nicht von seinem ökonomischen Ende her gedacht, dem Gewinn, den ein Studio, ein Produzent mit einem Film zu machen trachtet. Kino wird von ihnen verstanden als ein Ort sozialer Teilhabe, als Raum, in dem Menschen zusammenkommen, um einen intellektuell und/oder emotional anregenden Film zu sehen, über den sie sich danach austauschen können, und das nicht nur im Privaten (man könnte sich ja auch eine DVD anschauen oder einen Film streamen), sondern gerade auch im öffentlichen Raum. Es geht um Meinungsfreiheit, Toleranz und moderierte Diskussionen – ganz in der Tradition Sembene Ousmanes, einem der Gründerväter des afrikanischen Kinos, der das Kino als école de soir (Abendschule) begriff.[2] Doch die öffentliche Auseinandersetzung über Filmbilder, die ja nicht abbilden, sondern eine eigene Welt erschaffen, will gelernt sein, wie die kenianische Filmvermittlerin Njoki Ngumi vom Nest Collective, Nairobi, in einer edukativen Performance mit Publikum demonstrierte. Kino ist niemals selbstverständlich.

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Worum geht es den einzelnen Initiativen? Berni Goldblatt und sein Team von Cine Guimbi versuchen seit fast zehn Jahren in Bobo Dioulasso, der zweitgrößten Stadt Burkina Fasos, ein neues Kino zu bauen – es wäre das einzige in dieser Millionenstadt. In Kinshasa, der kongolesischen Hauptstadt, verfolgt die Initiative Ciné na Biso die Idee, in Ermangelung fixer Kinosäle mobile Container als Projektionsorte zu etablieren. Auf dem Land in der Nähe von Nairobi, wo es immerhin einige kommerzielle Kinos gibt, in denen zu vergleichsweise happigen Eintrittspreisen Filme aus Holly- oder Bollywood zu sehen sind, hat Manyatta Screenings begonnen, zweimal im Jahr ein Filmfestival zu organisieren, bei dem die Zuschauer*innen im Anschluss an ausgewählte afrikanische Filme rund um ein Lagerfeuer zum Gedankenaustausch animiert werden. In Südafrika, dem Land mit der längsten Kinogeschichte des afrikanischen Kontinents, bildet Sunshine Cinema Kinovermittler*innen aus. Sogenannte ambassadors organisieren in ihren Communities Pop-up-Filmvorführungen im Freien. Dafür erhalten sie eine sogenannte Sunshine Box mit dem nötigen Equipment und können auf einen Katalog von etwa 50 afrikanischen Filmen zurückgreifen. Von den nach Berlin eingeladenen Initiativen dürfte Sunshine Cinema wohl jene sein, die am konsequentesten an den komplexen Strukturen arbeitet, die das kollektive Kinoerlebnis überhaupt erst ermöglichen. Sofern es die politischen Verhältnisse zulassen, sind sie mittlerweile auch in Malawi, Zimbabwe und Sambia tätig. Einen anderen Ansatz hingegen verfolgt die Sudanese Filmmaking Association. Ihrem Leiter Mohamed Awad Farah zufolge ging es ursprünglich darum, überhaupt erst einmal Bilder von dem Land, in dem Militärdiktaturen und demokratisch gewählte Regierungen einander abwechseln, und seinen Menschen zu produzieren. Während der Revolution im Sudan 2019, die zum Sturz des langjährigen Diktators Umar Al-Bashir führte, wurden er und sein Team unter anderem durch den Einsatz von Kameradrohnen zu Chronisten der Ereignisse. Die Ausstrahlung dieser Bilder in einem TV-Kanal begreift er als eine Form des demokratischen nation building.

Jede Initiative steht vor spezifischen Herausforderungen, diese können politischer, klimatischer, demographischer oder finanzieller Art sein. Die Motivation der Beteiligten ist hoch und hat sich auch in den professionellen Darstellungen auf der Berliner Bühne gezeigt. Zwar wird der extraterritoriale Austausch in Berlin über alle Sprach-, Länder- und kontinentalen Grenzen hinweg dem Vernehmen nach von allen Beteiligten extrem geschätzt. Doch gleichzeitig wurde wiederholt mehr innerafrikanische Kooperation gefordert, daran hapert es offensichtlich nach wie vor. Auf jeden Fall scheint es derartiger Initiativen zu bedürfen, um die Sache des Kinos voranzubringen, in diesem Fall mit Unterstützung deutscher Geldgeber.

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So verschieden die Ziele und Vorgehensweisen der Initiativen sind, so unterschiedlich waren die von ihnen ausgewählten Filme. Baamum Nafi (Nafis Vater, 2019) von Mamadou Dia ist ein senegalesisches Drama über zwei völlig gegensätzliche Brüder, die einen innergesellschaftlichen Konflikt verkörpern. Der eine Bruder ein moderner Imam, der andere lässt sich von einem radikal-islamistischen Cheikh kaufen. Nafi, die Tochter des Imams, will ihren Cousin gegen den Widerstand ihres Vaters heiraten. Die familiär belastete Situation eskaliert, als die Islamisten die Kontrolle über den Ort erlangen: Nafis Bräutigam und ihr Onkel werden dabei erschossen. Ästhetisch steht der Film in der von Sembene Ousmane begründeten sozialrealistischen Tradition des afrikanischen Kinos. Die Kritik an religiösem Fanatismus und Geldgier wird durch eingängige Filmbilder transportiert. Der lokalen Geschichte wird dabei universelle Geltung zugeschrieben, was dadurch bestätigt wurde, dass Senegal Baamum Nafi in das Rennen um den Oscar für den besten ausländischen Film schickte. Im Vergleich dazu kommt La vie est belle (1987) gänzlich unpolitisch daher. Dieser in die Jahre gekommene Musikfilm des Belgiers Benoît Lamy und des Zairers Mweze Ngangura ist ein Klassiker des kongolesischen Kinos, wenn man angesichts der wenigen Filme, die das Land hervorgebracht hat, überhaupt von einer solchen Tradition sprechen kann, wie Tshoper Kabambi von Ciné na Biso in seiner Einführung ironisch-resignativ anmerkte.[3] Dafür wartet dieses moderne Märchen vom Musiker, der in die große Stadt kommt, dort Karriere macht und seine große Liebe findet, mit einem Superstar der kongolesischen Musikszene, Papa Wemba, auf, was den Film in Afrika zu einem großen Erfolg gemacht hat.

Kati Kati (2016) wurde in der Regie von Mbithi Masya in Kenia mit kenianischen Darstellern gedreht. Kati Kati ist eine Art Un-Ort, an dem eine Gruppe von jungen Menschen als Verstorbene zusammenkommt. Dramaturgisch raffiniert inszeniert, offenbaren sich erst nach und nach die Spielregeln dieser Zwischenwelt. Produziert wurde der Film u. a. von Tom Tykwer, im Abspann werden noch vor den kenianischen Beteiligten die europäischen Mentor*innen genannt. Entwicklungshilfe 2.0? Über Kenia erfahren die Zuschauer*innen übrigens sehr wenig, die Landschaft dient vor allem als Kulisse. Aber auch das kann afrikanisches Kino sein, schließlich hat es nicht die Aufgabe, ethnographische Informationsbedürfnisse des globalen Nordens zu befriedigen. Gleichwohl wäre es im Anschluss an die Vorführung dieses Films interessant gewesen, mit den kenianischen Aktivistinnen von Manyatta Screenings über ihre Wahl zu sprechen. Bedauerlicherweise hatte das Veranstaltungsprogramm aber – anders als nach den Präsentationen der Initiativen – keine Publikumsdiskussionen vorgesehen.

Talking About Trees (2019) ist ein durchaus poetischer Dokumentarfilm des sudanesischen Regisseurs Suhaib Gasmelbari, der von dem Versuch einer Gruppe alter Männer erzählt, in Khartoum eine Filmvorführung zu organisieren – der Hauptstadt eines Landes, in dem das Kino 30 Jahre lang strikt verboten war. Der Film wurde ohne offizielle Erlaubnis gedreht, und die Männer – es handelt sich bei ihnen um (ehemalige) Filmemacher – scheitern am Ende auch daran, die nötigen Genehmigungen für eine Aufführung von Quentin Tarantinos Django Unchained (ausgerechnet!) beizubringen. Die alten Männer strahlen bei ihren Unternehmungen eine wohltuende Lässigkeit aus, die an Wim Wenders‘ Buena Vista Social Club (1999) erinnert, sie stehen bedauerlicherweise aber auch für eine Geschichte des afrikanischen Kinos, die mehr von Unterbrechungen als von Kontinuitäten gekennzeichnet ist.

Zum Abschluss von Kizobazoba! wurde Lionel Rogosins Come back, Africa (1958) gezeigt. Dieser Film aus der Zeit der Apartheid erzählt die Geschichte des ungelernten Landarbeiters Zachariah, der in Johannesburg nach Arbeit sucht, um seiner Familie ein besseres Leben zu ermöglichen. Die Dreharbeiten fanden damals ebenfalls ohne Genehmigung statt. Der Film des /weißen/ US-amerikanischen Regisseurs verbindet einzigartige Dokumentaraufnahmen aus den Straßen von Sophiatown, einem Stadtteil Johannesburgs, mit einer didaktischen Spielhandlung, die von Laiendarsteller*innen getragen wird. Am Film beteiligt waren auch – nur unter ihren Vornamen firmierend – einige /schwarze/ Autoren des legendären Magazins Drum und die junge Miriam Makeba. Es schmerzt regelrecht, diesen Film über eine Gesellschaft anzuschauen, in der Schwarze systematisch ausgegrenzt und ausgebeutet werden. Wenn am Ende Zachariahs Frau von einem anderen Schwarzen umgebracht wird, wird einmal mehr deutlich, wie die durch eine rassistische Gesellschaft kreierten Probleme noch innerhalb der Schwarzen Community tödliche Konsequenzen haben. Während am Ende der anderen Filmvorführungen das Berliner Publikum stets begeistert applaudiert hatte, blieb den Zuschauer*innen am letzten Abend sozusagen das Klatschen in den Händen stecken. Gerade hier wäre eine Diskussion darüber, was uns dieser Film heute noch zu sagen hat – und es ist eine Menge –, sicherlich aufschlussreich gewesen. Es wäre auch die Gelegenheit gewesen zu reflektieren, welchen Weg das afrikanische Kino seit seinen Anfängen zurückgelegt hat. Denn bei allem Optimismus der in Berlin Anwesenden: Während das Filmschaffen in Afrika durchaus Erfolgsgeschichten zu erzählen hat – man denke nur an Nollywood und die nigerianische Filmindustrie –, steht das Kino (als soziale Institution, als siebte Kunst) nach wie vor auf wackeligen Beinen und bleibt vorerst abhängig von der Förderung des Globalen Nordens.

Der Sprach- und Kulturwissenschaftler Dirk Naguschewski ist am ZfL zuständig für Wissenstransfer und Kommunikation und der Redaktionsleiter des ZfL Blog.

[1] Das Cinema Spaces Network findet übrigens auch Erwähnung in dem aktuellen Überblickswerk der UNESCO, The African film Industry: trends, challenges and opportunities for growth, Paris 2021, in dem es nicht nur um das afrikanische Kino, sondern um Filmproduktion im Allgemeinen geht. Den Hinweis verdanke ich Judith Lippelt.

[2] Zu Sembene Ousmane und den Anfängen des (frankophonen) afrikanischen Kinos vgl. Dirk Naguschewski: »Sembene Ousmane, oder: Die Geburt des afrikanischen Kinos aus dem Geist der Literatur«, in: ders./Sabine Schrader (Hg.): Kontakte, Konvergenzen, Konkurrenzen. Film und Literatur in Frankreich nach 1945, Marburg 2009, S. 106–118.

[3] Auf Youtube kann man den ganzen Film anschauen.

 

VORGESCHLAGENE ZITIERWEISE: Dirk Naguschewski: Entwicklungshilfe 2.0? Afrikanisches Kino in Berlin, in: ZfL BLOG, 11.4.2022, [https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2022/04/11/dirk-naguschewski-entwicklungshilfe-2-0-afrikanisches-kino-in-berlin/].
DOI: https://doi.org/10.13151/zfl-blog/20220411-01