ZUR MEDIENÖKOLOGIE DER NEUEN RECHTEN. Moritz Neuffer und Morten Paul im Gespräch

Für die Juli-Ausgabe von »39Null – Magazin für Gesellschaft und Kultur« (7/2019) hat Katharina Rahn mit Moritz Neuffer und Morten Paul über die Neue Rechte, Medien und Fragen der Öffentlichkeit gesprochen. Zusammen mit weiteren Geistes- und Kulturwissenschaftler*innen haben die beiden 2017 den Arbeitskreis »Kulturwissenschaftliche Zeitschriftenforschung« gegründet. Im daraus hervorgegangenen Eurozine-Dossier »Worlds of Cultural Journals« wurde 2018 ihr Aufsatz »Rechte Hefte. Zeitschriften der alten und neuen Rechten nach 1945« veröffentlicht. „ZUR MEDIENÖKOLOGIE DER NEUEN RECHTEN. Moritz Neuffer und Morten Paul im Gespräch“ weiterlesen

Franziska Thun-Hohenstein: LEIDTRAGENDE KÖRPER

Warlam Schalamow (1907–1982) ist der einzige Schriftsteller in der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts, der dem Körpergedächtnis für sein eigenes Schreiben wie für das menschliche Gedächtnis an sich besonderen Stellenwert beimaß. Nahezu all seine überlieferten Prosatexte und Gedichte sind nach den vierzehn Jahren Gefangenschaft in den Lagern der Kolyma-Region, am Kältepol der Erde, verfasst worden. Alles, was er dort, am »Pol der Grausamkeit« des GULag durchleben musste, hat sich unauslöschlich in sein Gedächtnis wie in seinen Körper eingebrannt. Die Goldgrube der Kolyma, in der die Häftlinge bei Temperaturen bis zu minus 55 Grad arbeiten mussten, ließ den Überlebenden zeitlebens nicht los. Seinen eigenen Erfahrungen entnahm Schalamow ein neues, erschreckendes Wissen über die Verfasstheit des Menschen, über »das Gesetz des Verfalls« ebenso wie über »das Gesetz des Widerstands gegen den Verfall«. Dieses Wissen mit literarischen Mitteln gegen das Vergessen wachzuhalten, hieß vor allem eines: »Wichtig ist das Wiedererwecken des Gefühls.« Eben dieses Heraufholen des damaligen Gefühls ist für ihn die Garantie von Wahrhaftigkeit. „Franziska Thun-Hohenstein: LEIDTRAGENDE KÖRPER“ weiterlesen

Insa Braun: WRESTLING UM WAHRHAFTIGKEIT: Clemens Setz und Christian Kracht

Innerhalb nur eines Jahres haben sich zwei Autoren im deutschsprachigen Literaturbetrieb öffentlich zu Wort gemeldet und der Literaturkritik wie der Literaturwissenschaft eine Lehre erteilt: Christian Kracht und Clemens Setz. Die beiden Reden sollten wir uns merken. „Insa Braun: WRESTLING UM WAHRHAFTIGKEIT: Clemens Setz und Christian Kracht“ weiterlesen

Clara Fischer: TRIVIALITÄT UND ZEUGENSCHAFT: WAS DARF LITERATUR? Ein Gedanke anlässlich des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs 2019

Bei den 43. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt galten in diesem Jahr die hitzigen Debatten nicht den Siegertexten. Diese fallen vor allem in die Kategorien kann man so machen und schön.[1] Eine leidenschaftliche Kontroverse löste hingegen die Lesung Martin Beyers aus: Am Samstagnachmittag gab er als Letzter der Nominierten einen Auszug aus seinem Roman Und ich war da zum Besten, für den er von weiten Teilen der Jury blankes Entsetzen erntete.[2] Der Text, in dem ein Ich-Erzähler als Scharfrichtergeselle des NS-Henkers Johann Reichhart der Exekution von Mitgliedern der Weißen Rose beiwohnt und durch diese Erfahrung moralisch geläutert wird, spart in der Tat nicht mit trivialen Versatzstücken und Motiven. »Abziehbilder« bleiben, wie von der Jury moniert, neben den Geschwistern Scholl auch die Nazis und der Erzähler, ein Geworfener, der sich durch seine artige Reflexion der Geschehnisse in einer zwielichtigen Schuldloszone bewegt. „Clara Fischer: TRIVIALITÄT UND ZEUGENSCHAFT: WAS DARF LITERATUR? Ein Gedanke anlässlich des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs 2019“ weiterlesen

Maria Kuberg: DRAMA, NACH DER HISTORISIERUNG

Für die Literaturwissenschaft bedeutet Historisierung inzwischen eine nahezu selbstverständliche Übung, wenn es um die Analyse von Diskursen und produktions- oder rezeptionsästhetischen Aspekten in Einzelwerken geht – bei literarischen Gattungen ist sie aber noch immer eine Herausforderung. Die Versuche, die Großgattungen Epik – Lyrik – Dramatik nicht als überzeitliche Grundformen der Dichtung, sondern als geschichtlich wandelbare Konstrukte zu beschreiben, haben nicht selten zum Verschwinden der Gegenstände geführt. So ist etwa das Epos, das freilich ohnehin bis dahin in der deutschsprachigen Literatur nicht recht floriert hatte, mit F. A. Wolffs Annahmen über die historischen Entstehungsbedingungen der antiken Epen und endgültig mit Hegels Bemerkungen über die Archaik und Ursprünglichkeit der epischen Dichtung zu einer Gattung der fernen Vergangenheit degradiert und das Verfassen von modernen Epen zu einem Ding der Unmöglichkeit erklärt worden.[1] Ähnlich ist es, wenn auch wesentlich später, dem modernen Drama ergangen. „Maria Kuberg: DRAMA, NACH DER HISTORISIERUNG“ weiterlesen

DER ELEFANT IM RAUM. Ein Gespräch von Pola Groß mit Kathrin Röggla

Noch bis einschließlich 2. Juni ist in der Berliner Akademie der Künste das Ausstellungsprojekt Der Elefant im Raum der Schriftstellerin Kathrin Röggla zu sehen. Es ist Teil der großen künstlerisch-experimentellen Werkstatt wo kommen wir hin, die sie zusammen mit dem Komponisten Manos Tsangaris und der bildenden Künstlerin Karin Sander initiiert hat. Durch die Kontrastierung verschiedener Medien und Materialien und die labyrinthische Bewegung der Besucher*innen im Gebäude schafft die Ausstellung Räume, in denen Spannungsfelder zwischen Sicht- und Unsichtbarkeit, zwischen Sprechen, Gespräch und Unterbrechung sowie zwischen An- und Abwesenheit spürbar werden. Mit Kathrin Röggla sprach darüber Pola Groß. „DER ELEFANT IM RAUM. Ein Gespräch von Pola Groß mit Kathrin Röggla“ weiterlesen

Mareike Schildmann / Patrick Hohlweck: AUF DEM BODEN DER TATSACHEN

Die Lage ist ernst, ja dramatisch, doch ihr liegt ein Sachverhalt zugrunde, der keineswegs neu ist. Dies könnte man als die Quintessenz einer Ausgabe der Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung (ZMK) verstehen, die sich in einem Schwerpunkt den Alternativen Fakten widmet (Heft 9/2, 2018, hg. von Lorenz Engell und Bernhard Siegert, Hamburg: Felix Meiner Verlag). Sie greift damit eine bereits in Heft 9/1 geführte Diskussion um den Verlust sicher geglaubter Kriterien für die Bestimmung von Objektivität auf, dessen politische Brisanz Donald Trumps Beraterin Kellyanne Conway im Januar 2017 medienwirksam vorführte: Sie hatte bekanntlich erklärt, der Pressesprecher des Weißen Hauses, Sean Spicer, habe mit der Behauptung, bei der Amtseinführung Trumps seien mehr Zuschauer zugegen gewesen als bei derjenigen Barack Obamas, nicht etwa die Unwahrheit gesagt, sondern ›alternative Fakten‹ dargestellt. Im Kontext einer Selbstreflexion der Geistes- und Kulturwissenschaften ist diese Debatte von Bruno Latour bereits 2004 angestoßen worden; sein Aufsatz »Why Has Critique Run Out of Steam? From Matters of Facts to Matters of Concern«[1] gehört in den fünf Beiträgen des Heftschwerpunkts dann auch zu den am häufigsten zitierten. „Mareike Schildmann / Patrick Hohlweck: AUF DEM BODEN DER TATSACHEN“ weiterlesen

Hannes Bajohr: BLUMENBERGS MÖGLICHKEITSGESCHICHTEN

Als Hans Blumenberg 1974 den Kuno-Fischer-Preis für Philosophiegeschichte erhält, fällt in seiner Dankesrede der Satz: »Ich habe den Vorwurf des ›Historismus‹ immer als ehrenvoll empfunden.«[1] Aus dem Mund eines Philosophen muss diese Aussage verwundern, denn polemisch verwendet meint ›Historismus‹ schließlich das glatte Gegenteil von Philosophie: reines positivistisches Faktensammeln ohne alle Wertung. Die Genese der Phänomene klären zu wollen, ohne ihre Geltung bestimmen zu können – so ließe sich der »Vorwurf« zusammenfassen –, endet in einem aussagefreien Relativismus. Als philosophische Haltung löst der Historismus Philosophie in Geschichte auf. Dass er dennoch »ehrenvoll« sein kann, lässt sich für Blumenberg aber durchaus philosophisch begründen. Verstanden als Korrektur falscher Geschichtsverständnisse nämlich ist der Historismus für ein ganzes geschichtstheoretisches Programm nutzbar zu machen: Blumenberg nannte es einmal die »Destruktion der Historie«.[2] „Hannes Bajohr: BLUMENBERGS MÖGLICHKEITSGESCHICHTEN“ weiterlesen

Patrick Eiden-Offe: VERRUFENES HISTORISIEREN

In Das Elend der Philosophie seziert Marx das Vorgehen der »bürgerlichen« Ökonomen in wenigen Sätzen:

»Die Ökonomen verfahren auf eine sonderbare Art. Es gibt für sie nur zwei Arten von Institutionen, künstliche und natürliche. Die Institutionen des Feudalismus sind künstliche Institutionen, die der Bourgeoisie natürliche. Sie gleichen darin den Theologen, die auch zwei Arten von Religionen unterscheiden. Jede Religion, die nicht die ihre ist, ist eine Erfindung der Menschen, während ihre eigene Religion eine Offenbarung Gottes ist. Wenn die Ökonomen sagen, daß die gegenwärtigen Verhältnisse – die Verhältnisse der bürgerlichen Produktion – natürliche sind, so geben sie damit zu verstehen, daß es Verhältnisse sind, in denen die Erzeugung des Reichtums und die Entwicklung der Produktivkräfte sich gemäß den Naturgesetzen vollziehen. Somit sind diese Verhältnisse selbst von dem Einfluß der Zeit unabhängige Naturgesetze. Es sind ewige Gesetze, welche stets die Gesellschaft zu regieren haben. Somit hat es eine Geschichte gegeben, aber es gibt keine mehr; es hat eine Geschichte gegeben, weil feudale Einrichtungen bestanden haben und weil man in diesen feudalen Einrichtungen Produktionsverhältnisse findet, vollständig verschieden von denen der bürgerlichen Gesellschaft, welche die Ökonomen als natürliche und demgemäß ewige angesehen wissen wollen.«[1]

„Patrick Eiden-Offe: VERRUFENES HISTORISIEREN“ weiterlesen

Patrick Hohlweck: ZEITMASCHINEN – Tangerine Dream in Berlin, 1980

Ende Januar 1980 machte sich die Westberliner Band Tangerine Dream auf in den Ostteil der Stadt. Ihr Ziel war der Palast der Republik, in dessen Großem Saal sie im Rahmen der Jugendkonzerte des Radiosenders DT 64 auftreten sollte: gleich zweimal – so meldete es der Spiegel im Vorfeld – vor insgesamt 5.800 Zuhörern. Es sollte der erste Auftritt einer westdeutschen Rockgruppe in der DDR werden, noch zweieinhalb Jahre vor Udo Lindenbergs vielbeachtetem, von langem Werben vorbereitetem Konzert in Ostberlin. Die nach 1990 etablierte Erzählung dieser Episode der Popgeschichte lautet folgendermaßen: Die futuristischen Klänge Tangerine Dreams und die von ihnen vorgeführten technischen Möglichkeiten hätten die Zuschauer so sehr beeindruckt, dass einige von ihnen in der Folge selbst die Flucht aus dem realsozialistischen Alltag mittels elektronischer Musik erprobten. Das Konzert sei so zur Initialzündung einer Reihe von zum Teil kurios anmutenden Electronic Escapes from the Deutsche Demokratische Republik geworden.[1] „Patrick Hohlweck: ZEITMASCHINEN – Tangerine Dream in Berlin, 1980“ weiterlesen